Das Planetenschloss 13

Das Planetenschloss 13

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2

Der alte Ritter wiegte das Kind in den Armen. Die Mecha stapfte knirschend durch die Trümmer des Glaslöwen. Herr Terramar zuckte zusammen, als weckte ihn das Geräusch aus einer Trance. Behutsam begann er, Lori die Splitter aus dem Gesicht zu ziehen. Unter dem Glas quoll Blut hervor, das rote Spuren über die Wangen zog.

„Sie lebt“, sagte er halblaut. „Aber ich kann ihren Geist nicht erreichen. Ich habe mein Kwan so weit ausgesandt, wie ich es in der Eile wage, aber ich finde sie nicht. Was ist das nur für ein Kind?“

„Sie hat den Löwen herbeigerufen“, stellte Seondeok fest. Die Mecha las den schlaffen Körper des Kindes auf und legte ihn in die Bauchhöhle wie eine geliebte Puppe.

Herr Terramar schüttelte den Kopf. „Sie hat ihn erschaffen. Aus Sand und Hitze, belebt von einer Kraft, die mir rätselhaft ist.“ Er sprang, erreichte mit schwebenden Schritten die Kanzel und ließ sich in den Pilotensitz fallen. „Wir müssen hier weg, bevor die Wächter wiederkommen. Was ist?“

Ein Kwan-Ritter war seiner Mecha verbunden wie die Krieger alter Zeiten mit dem Schwert, um dessen Knauf sich Hand und Arm formten, die ihrerseits den Knauf auf den eigenen Griff prägten. „Ich merke, dass du etwas sagen willst. Raus damit.“

Die Mecha zögerte. „Es war nicht klug, die Burg frontal anzugehen.“ Noch bei diesen Worten setzte sich Seondeok in Bewegung. Herr Terramar legte Schalter um, drückte einen Knopf und konzentrierte sich dann ganz auf die Gedankenverbindung zu seiner Rüstung und Gefährtin. „Du hast Recht.“ Er schwieg einen Moment.

Außerhalb der Kanzel versank die Wüsten in tiefem Violett und Schwarz, das Sand und Steine zu reinem Geräusch verwischte. Seondeok tauchte den Weg vor ihren Füßen in weiße Lichtstrahlen, die ihr aus den Augen fielen. „Ich habe die Situation falsch eingeschätzt. Die Wächter wollte ich ausmanövrieren. Und ja, ich habe geglaubt, dass das besondere Kwan dieses Kindes uns einen Vorteil im Kampf verschaffen würde. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass wir mit Loris Gabe der Heimlichkeit, von der ich annahm, dass sie sich aus den Hexenkünsten ihrer Ziehmutter und den Schatten dieser Welt speist, einfach unter dem Radar vordringen könnten. Dass sie auf diese Weise angreifen würde, hätte ich nie für möglich gehalten.“

Er schwieg und starrte in die Nacht. Seondeok stapfte ohne Befehl fort vom Kampfschauplatz, am Rand eines gedachten Umkeises des Schlosses. „Wohin?“, fragte sie schließlich.

Herr Terramar presste die Lippen zusammen und setzte sich dann auf. „Ich gebe den Kurs ein.“ Noch während er auf den großen, altmodischen Tasten klackte, stieß die Mecha ein Brummen aus. „In die tiefe Wüste? Es wird kalt werden. Und nachts wimmelt es hier von Untieren. Sandwürmer, Nanintenstürme, A-Mecha-Löwen, Phytoschlangen…Sollten wir nicht zurück nach Ka´naa, zu den Kabuki?“

Herr Terramar schüttelte den Kopf. „Nein. Dort kann man Lori nicht helfen. Und ich fürchte, dass ich es ohne Hilfe auch nicht kann. Dort draußen, an dem Ort, den ich dir bedeutet habe, ist es etwas … oder jedenfalls sagt man, dass dort etwas sei.“

Seondeok stapfte weiter. „Ich dachte, ihr wärt zum ersten Mal auf Trundor?“

„Bin ich. Aber ich habe Geschichten gehört, bei den Schatzjägern in Ka´ naa. Legenden, sicherlich zu falschem Goldglanz poliert, weil sie weitergereicht wurden wie alte Münzen. Aber deshalb nicht ohne Wert.“

„Wo wollen wir hin?“

„Zu einer Pyramide.“

„Ein Relikt der Alten? Ich dachte, diese Ruinen liegen alle unter dem Sand.“

„Es mag sein, dass die Alten diese Nekropole errichtet haben, wie sie es für ihre Königinnen taten. Aber wenn die Geschichten einen wahren Kern haben, liegt dort etwas begraben, das älter ist, als die ersten Herren dieser Welt. Vergiss nicht, dass die Königinnen der Alten Herrinnen über das Wort des Lebens waren. Ihre Pyramiden waren weniger Grabmale, als vielmehr Gefängnisse. Keine Herrscherin mit Macht über Leben und Tod tritt freiwillig ab. Die Labyrinthe, die magischen Vorkehrungen, die denkenden Maschinen und Irrgärten aus neuronalen Pilznetzwerken dienten dazu, etwas einzusperren – und weniger dazu, Grabräuber abzuhalten.“

„Und ein solches Gefängnis soll nun unsere Zuflucht sein?“

Herr Terramar lachte leise, doch sein Gesicht blieb ernst. „Die Gefangene, die ich dort vermute. Unter den Schatzjägern erzählt man sich von einer schwarzen Pyramide mit einer Spitze aus Kristall. Hinter Spiegelpfaden aus Naninten und Echokammern aus Chlorophyll, hinter Gedankenbarrieren und biokbyernetischen Fallgruben und Wächtern aus dem Unleben soll dort etwas in Ketten liegen, das eine andere Macht über die Schöpfung hat, als sie das Wort des Lebens verleiht. Ein Rungarianer mit Kopftentakeln, die vom Shabu schon völlig durchlöchert waren, hat mir berichtet, dass seine Leoniden-Gefährtin dort von etwas verschlungen worden sei, das vier Gesichter gehabt habe, eines mit Hörnern, eines mit Augen, eines mit Schuppen, eines aus Licht und eines, wie er sich ausdrückte, wie meines. Das Wesen habe aus Dutzenden von Augen geschaut, und mit Flammenflügeln Eis geschleudert.“

Seondeok zirpte, als sie ihre Datenbank konsultierte. „Ein Diener des Geflüchteten? Hier, auf Trundor?“

Herr Terramar nickte. „Ich verstehe deine Skepsis. Und ich würde diesem Märchen keine Sekunde Glauben schenken, hätte ich an den fraglichen Koordinaten nicht etwas im Kwan gespürt. Einen Schleier oder einen blinden Fleck. Alles dort scheint normal, bis man genauer hinsieht. Es ist beinahe so, als habe dort jemand mit großem Aufwand etwas verbergen wollen.“

„Einen Engel in einer schwarzen Pyramide?“

„Ich weiß es nicht. Aber Lori zurückzuholen, übersteigt meine Fähigkeiten und selbst die ihrer Ziehmutter, da bin ich mir sicher. Sie wird sterben. Ein Engel mit der gestohlenen Macht des Geflüchteten mag vielleicht helfen.“

„Ein verzweifelter Plan, scheint mir.“

„Wir befinden uns in einer verzweifelten Lage.“

Seondeok stapfte weiter durch die Nacht, den weißen Strahlen aus ihren Augen hinterher.

„Könnten wir nicht …“

„Sie sterben lassen?“

„Es wäre nicht das erste Mal. Was liegt Ihnen an diesem Kind?“

„Dass etwas so Besonderes unseren Weg kreuzt, ausgerechnet auf dieser Welt, ausgerechnet auf der Mission, die uns zum Schloss führt, das kann kein Zufall sein.“ Herr Terramar tastete nach Loris reglosem Körper. „Sie hat Macht. Macht zu rufen und zu erschaffen. Ich bin mir sicher, dass sie ein Schlüssel zum Wort des Lebens ist.“

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