Das Planetenschloss 2
Der Wanderer war noch ein Kind, nach menschlichen Maßstäben vielleicht zwölf Jahre alt. Trotz der Kälte war er nur mit einer Hose von der Farbe des Sandes bekleidet. Er kniete sich neben den Toten, zog ein Instrument aus dem Gurt, den er um die Brust geschlungen hatte, und fuhr damit die Leiche ab. Das Gerät stieß einen Brummton aus. Der Wanderer steckte es weg und suchte mit flinken, braunen Fingern de Anzug ab. Der Metallvogel hüpfte ungeduldig von einem Bein auf das andere. Das Kind durchwühlte methodisch den Rucksack, ohne sich davon stören zu lassen. Dann hob es das Fernglas in die Höhe, erriet, dass man es vor die Augen halten sollte, und unterdrückte einen Aufschrei, als das Schloss am Horizont plötzlich so dicht vor ihm stand, dass man die kreisenden Schatten um die Turmspitzen ausmachen konnte. Das Kind steckte das Zauberding in den Rucksack, warf sich diesen im Aufstehen über die Schulter, und machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung des Toten. Der Metallvogel hüpfte näher und zertrümmerte dem Toten mit einem Schnabelhieb den Schädel.
Während er geräuschvoll die rosig-weiße Masse aus der Knochenschale zerrte, ging der Wanderer in die Hocke, strich sich die verfilzten Haare aus der Stirn und suchte die Umgebung ab. Die Sonne war ein violetter Fleck am blauschwarzen Himmel und stand nun schon knapp über dem Horizont. In den fernen Schlosstürmen sprangen grünliche Lichter an. Das Kind spielte mit einem Stein, der in die verfilzten Haare geflochten war, und blickte zwischen seinem fressenden Tierbegleiter und dem Schloss hin und her. Es erhob sich und lief geduckt um den Vogel und seine Beute herum. Die Fußspuren des Toten waren kaum noch auszumachen. Das Kind folgte der Spur geduckt, hielt immer wieder inne, sah sich um, nahm die Spur aufs Neue auf. Als das abgestürzte Raumschiff in der Ferne sichtbar wurde, ging der Wanderer in die Hocke, kniff die Augen zusammen, und zerrte dann das Fernglas aus dem Rucksack. Er musterte das Wrack, diesmal schon ganz an den Effekt gewöhnt, der ihm die Maschine vor Augen führte, als stünde er direkt davor. Immer wieder wechselte er zwischen dem Blick durch das Fernglas und dem Ansehen mit bloßen Auge, schaute auch zu seinem Vogel zurück, der immer noch mit seinem grausigen Mahl beschäftigt war.
Das Kind stand auf und pfiff auf zwei Fingern. Der Vogel hob den Kopf, krähte, schüttelte das Metallgefieder, und fraß weiter. Das Kind seufzte hörbar, verstaute das Fernglas und lief geduckt weiter auf das Wrack zu.
Ein Wind kam auf, der den Sand in Schlingen durch die einsetzende Dunkelheit trieb. Der Wanderer setzte die Füße geschickt zwischen die treibenden Bänder. Ein schmutziggelber Lichtring trennte ringsum den Rand der Welt von Himmel und Erde.
Am Wrack angekommen, ließ sich das Kind unvermittelt zu Boden fallen. Ein Geräusch drang aus den Trümmern. Das Kind wartete mit angehaltenem Atem. Langsam zog es einen Stein aus den Haarsträhnen und schleuderte ihn über das abgestürzte Raumschiff hinweg. Das Geräusch verstummte. Ein hagere Gestalt reckte sich aus der Pilotenkanzel. Zwei rote Punkte flackerten durch das Abendblau. Ein Schnüffeln war zu hören. Der Schatten floss aus dem Wrack wie Öl, das über eine Wasseroberfläche wabert. Die Gestalt war menschenähnlich, aber von unklaren, ausgefransten Umrissen.
Das Kind hastete zum Wrack und presste sich an die Außenhülle. Die schattenhafte Gestalt stand einige Meter entfernt und reckte den Kopf. Wieder das Schnüffeln. Das Kind löste sich von der Wand, lief einen Schritt, zwei, und erst, als es den Rucksack von der Schulter riss und ausholte, fuhr die Schattengestalt herum und fauchte, Sekundenbruchteile, bevor ihr ihr der Rucksack an den Kopf knallte. Sie taumelte, wich zurück, wollte sich aufrichten, wurde durch einen weiteren Schlag herumgeschleudert, stürzte. Stumm warf sich das Kind auf sie. In der Dunkelheit wälzten sich die beiden Schatten umher. Das schwarze Ding keuchte. Ein rotes Auge verlöschte. Es schrie. Das andere verlöschte. Rittlings hockte der Wanderer auf der Brust seines Gegners, riss stumm die Fäuste in die Höhe, ließ sie stumm niedersausen, verharrte schwer atmend, doch immer noch lautlos auf dem Besiegten. Die Beine der Schattengestalt zuckten, die Klauen fuhren durch die Luft. Das Kind beute sich vor, bis sein Gesicht in der Dunkelheit mit dem Hals des unten liegenden verschmolz. Es zog und zerrte und die Schattengestalt stieß ein dünnes Pfeifen aus. Endlich riss der Wanderer den Kopf in die Höhe. Etwas Nasses spritze in den Sand und verebbte.
Das Kind saß kurz wie lauschend auf dem Toten, glitt dann in den Stand, und ging, unbekümmert jetzt, ins Innere des Wracks. Das Klappern von Metall und das Ächzen von Kunststoff, der herumgeschoben wurde, war zu hören. Dann wieder ein Pfiff auf zwei Fingern, lauter diesmal, ungeduldiger.
Endlich das Rascheln der Messerfedern in der Dunkelheit. Der Lichtring um die Welt war verschwunden. Nur die Fenster des Schlosses schwammen grün im tiefen, fernen Blau. Der Vogel landete als schwerer schwarzer Umriss im Sand. Das Kind floss mit dem vollgestopften Rucksack auf ihn zu und kletterte auf den Rücken. Auf ein Zungenschnalzen hin erhob sich der Vogel in der Lüfte. Die Schläge der großen Schwingen verklangen wie schwächer werdende Atemzüge in der Nacht.
Der Wind knüpfte seine Schlingen aus dem Sand. Die Finsternis verbarg zwei Tote. Am Horizont stand das Schloss, in dessen grünen Tiefen hinter den Fenstern sich stumme Figuren regten.