Das Planetenschloss 28

Das Planetenschloss 28

Herr Terramar stand auf und klopfte sich den Oberkörper ab, als müsse er sich der eigenen Grenzen vergewissern. „Seondeok, Statusbericht.“

Die Mecha stand stumm im Glosen der Pilze. Ihre Dioden blinkten abwechselnd auf der linken und der rechten Seite der Panzerung. Lori dachte an einen Menschen, der sich überwältigt in sich selbst zurückzieht und nur noch vor- und zurückwippt.

„Statusbericht!“ Die Stimme des Ritters klang jetzt schärfer. Ihn töten, dachte Lori. Hilfst du mir ihn zu … mich gezwungen … versklavt. Lori presste die Hand an die Schläfe und versuchte, dem Schwindel Herr zu werden. Was war geschehen? Eben noch waren sie in die Höhe gesaust, während unter ihnen der Garten des Alten in Flammen aufgegangen war. Ein Wort, ich bin ein Wort, dieser Körper ist nicht meiner … Eine andere Art von Schwindle erfasste Lori. Ein Schloss, ein Schloss in den Wolken. Das Gefühl der Auflösung und die Angst, als Mecha, Mensch und Ritter ineinanderflossen stieg noch einmal empor, wie Säure aus dem Magen. Lori schluckte und ballte die Fäuste. Hier bin ich. Ich bin ich und jetzt ist jetzt. Das sind meine Gedanken und nicht die eines anderen.

Das Muster von Seondeoks Dioden veränderte sich. Die Mecha schnarrte und gab eine Abfolge von Piepstönen von sich. „Statusbericht.“ Ihr Stimme rutschte aus der vertrauten Tiefe in die Höhe eines heiß laufenden Tonbandgeräts, fing sich dann aber wieder. „3, 2 Kilometer unter der Oberfläche. Verzweigtes Höhlensystem. Karte wird erstellt. Myzel mit lumineszierenden Fruchtkörpern. Schwarmintelligenz vermutet. Kommunikation durch Nährstoffaustausch und Schwankungen der Lichtfrequenz inner- und außerhalb des von Menschen erkennbaren Spektrums. Alter des Pilzkollektivs geschätzt auf einige hunderttausend Jahre. Höhle wahrscheinlich Millionen von Jahren alt.“

Das stimmt nicht, dachte Lori. Hier war eben noch alles anders. Die Naninten, die Magie, die wir auf dem Weg durch die Gräber aufgesammelt haben … das hat nicht nur in den Raum gewirkt, sondern auch in die Zeit. Bis wir kamen, um es zu sehen, war es nicht da, und jetzt gab es das alles schon immer …

Etwas in dem Kind begriff zu spät, dass Seondeok und Herr Terramar diese Gedanken nicht einfach mit ihm teilten. Eine höher liegende Schicht von Überlegung befasste sich halb verbal damit, woher diese Gewissheiten stammten, und ob es klug wäre, sie laut auszusprechen. Schon, als die Wörter im Bewusstsein entstanden, wurden sie von dem Gefühl unterlegt, dass die Antwort „nein“ lautete.

„Kartographierung abgeschlossen.“ Seondeoks Stimmlage änderte sich. Nach den maschinellen Äußerungen auf den Befehl des Ritters hin, schien sich nun die Persönlichkeit der Mecha wieder in der Vordergrund zu stellen. „Wir befinden uns tief unter der Wüste, weit weg von der Pyramide und auch von …“ Die Mecha stockte, als müsse sie überlegen – oder als scheue sie sich, auszusprechen, was sie wusste. „…von unserem letzten Aufenthaltsort. Aber ich sehe, dass wir dafür wieder ein ganzes Stück an das Schloss herangerückt sind. Wenn ich die Messdaten richtig interpretiere …“ Im Halbdunkel vor der Mecha entstand, begleitet vom akustischen Äquivalent zum Sichweiten einer Iris, die holographische Darstellung von Gängen und Höhlen in sägezahnigen, orangeglosenden Linien, gesprenkelt mit weißen, grünen und violetten Punkten. Die Grafik flimmerte und brach immer wieder für Sekundenbruchteile in sich zusammen, während die Mecha sprach. „…wenn ich das also hier richtig darstelle, dann führt uns dieser Tunnel …“ Sie griff die Zackenlinie heraus, vergrößerte und drehte die Darstellung: „…direkt unter das Schloss, und, wenn das Gestein das Echo meiner Mess-Strahlen nicht zu sehr verzerrt, sogar hinein.“

„Ein vergessener Eingang?“ Der Ritter beugte sich vor. Seine Gesicht verriet Müdigkeit, aber seine Augen leuchteten. „Würde dein Scan Wachen und mechano-magische Fallen erkennen?“

Seondeok brummte. „Vermutlich ja. Es sei denn, dort erwartet uns etwas, das wir nicht kennen. Soweit ich das bis jetzt sagen kann, ist der Zugang unbewacht.“

Kein Wunder, dacht es in Lori. Bis eben gab es diesen Tunnel ja auch noch gar nicht.

Dann müssen wir dorthin. Wie lange, Seondeok?“

„Zwei Standardtage, wenn wir in in einem Tag-Nacht-Rhythmus mit Ruheperioden bleiben. Was ich angesichts unseres Biomonitorings empfehlen würde. Außerdem …“

„Was außerdem?“

Der See, dachte Lori. Nach zwei Dritteln des Weges vermatschte ein lilafarbener Klecks den orangefarbenen Pfad. Der See und der Wächter.

„Wir haben nichts zu essen und zu trinken“, zählte Seondeok auf. „Die Pilz sind für uns essbar, allerdings kann ich nicht sagen, wie das Myzel darauf reagiert, wenn wir uns von ihm ernähren. Oder ob es das überhaupt mitbekommen würde. Es gibt an mehreren Stellen altes Wasser, das stark mineralisch ist, und möglicherweise von Algen durchsetzt. Ich bin mir allerdings sicher, dass ich den größten Teil der potenziell schädlichen Bestandteile filtern kann.“

Nein, dacht Lori. Aber kein Wort verließ den Mund des Kindes.

„Also? Was hindert uns?“ Herr Terramar verzog ungeduldig das Gesicht.

„Nach etwa zwei Dritteln des Weges ist der Gang von einer großen Menge alten Wassers blockiert.“

„Und? Können wir da nicht in deiner Kapsel durchtauchen?“ Der Ritter hob die Hand und drehte das Hologramm mit einer unwirschen Handbewegung. „Das sind doch höchstens fünf Kilometer.“

„Wir können. Aber …“

Aber dort wartet der Wächter auf uns.

„… aber irgendetwas im Wasser verhindert meinen Scan. Ob das Metallpartikel oder organische Teilchen sind, kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, was uns dort erwartet.“

„Wohl kaum eine Lebensform. Was sollte dort seit hunderttausenden Jahren lauern? Wovon sollte es sich ernähren? Ich sage, wir verlieren keine Zeit und brechen auf.“ Herr Terramar zog den Umhang um sich und stapfte in die Dunkelheit.

Seondeok ließ das Hologramm zusammenschnurren und folgte ihm.

Sie weiß es, dachte Lori. Woher weiß ich von dem Wächter? Loris Herz schlug schneller. Ich weiß es nicht. Aber etwas in mir … Und Seondeok hat ihn auch gescannt. Das ist eine Falle. Eine Falle für den Ritter.

Eine rote Diode am Hinterkopf der Mecha flackerte, als zwinkerte die Maschine dem Kind zu.

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