Das Planetenschloss 25
Sie landeten auf einer Wolke, die unter Seondeoks Metallstiefeln federte wie ein gestrandetes Tiefseetier. Wie ein riesiges Wesen, das außerhalb seines Elements eben wegen seiner Riesenhaftigkeit nur mit umso größerer Fläche Schmerz empfand, so fühlte sich auch Lori. Die gesamte Umgebung war klar und eintönig, ein blauer Himmel, das Weiß der Wolken, die Klarheit der Luft, selbst die Schimmerwesen auf den Schlossmauern, deren Uneindeutigkeit wie Zittern und Funkeln auf schaukelnden Wogen eines bis zum Horizont glatt gekräuselten Meeres betonte, wie großflächig-deutlich alles war. In Lori aber wirbelte alles durcheinander.
Der Gedanke kam: Ich stakse über die Wolke, doch was führt die Muskeln, verschaltet Augen, Nerven und Bewegung? Ich gebe die Befehle nicht. Die Müdigkeit meiner Glieder meldet sich zurück an das Gehirn und kommt bei mir als Müdigkeit an. Ich denke: Sei vorsichtig! Das Feedback des Bewegungsapparats, das Echo im Bewusstsein – bin das ich? Steuert mich, was ich zu führen meine? Und doch soll all das nur Verkleidung sein. Denn ich bin ein Wort, gemacht von Wesen, deren letztes eben von seiner Vergangenheit eingeholt wurde. Wie macht man eigentlich Worte? Bin ich gesprochen? Und in welcher Sprache?
Über die Wangen, die Lori gehörten, liefen Tränen, und das Wasser dazu hatte Lori schon vor langer Zeit getrunken. Durst stellte sich ein. Die Zunge aus Loris Mund tastete nach der Luft und spürte den Niederschlag der Wolkenluft.
Seondeok trat an Loris Seite. „Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Dass eine Mecha flüstern konnte! Herr Terramar war längst beschäftigt. Den Blick aufs Schloss gerichtet, ging er voran. Seine Füße schwebten eine Handbreit über der Wolkendünung. Lori schmerzten die Augen vom ungebremsten Licht aus allen Richtungen. Dem alten Ritter schien das nichts auszumachen. Vielleicht, überlegte Lori, erlaubte ihm das Kwan, die Augen und den Sehapparat nach seinem Willen arbeiten zu lassen. Wenn Lori ein Wort war – konnte dieses Wort sich willentlich hören lassen? Das Ungeheuer aus der Grube hatte Lori nur durch das Ansehen zu Asche gemacht. War dies die Kraft des Wortes gewesen? Gab es etwas in Lori, das dieses Wort zum Klingen brachte? War in diesem Körper also noch etwas Anderes als das Wort, das es aussprach, dachte, aktivierte? Oder waren alle Bilder, Erinnerungen, Gedanken, Handlungen, Impulse, die von sich als Lori dachten, wie Tannennadeln, Kiesel, Krumen, die an Kriechtieren klebten, als Tarnung, Täuschung, Vorratskammer? Würde das Wort dies Gehäuse abschütteln, wenn es seinen Zweck erfüllt hatte?
Lori schauderte, schlang die Arme enger um sich, und versuchte, nicht mehr darüber nachzudenken, wer da schauderte und wer da schlang. Laut sagte das Kind mit seinem Mund: „Das glaube ich nicht. Niemand kann mich verstehen.“
Seondeok stampfte weiter, auch auf Wolken, ohne sichtlich tief einzusinken. Vielleicht passte sich der Untergrund dem Gewicht eines jeden Wesens an? Immerhin trug er ein ganzes Schloss. Lori blickte zwischen dem Heben und Senken des Wasserdampfs und den Toren, Zinnen und Fahnen hin- und her. Gewöhnliche Tropfen in gewöhnlicher Luft waren dies wohl nicht. Was auch immer es war, mal war es Untergrund und mal Gebäude und dann sogar Bewohner.
„Wir haben mehr gemeinsam, als du denkst.“ Die Mecha flüsterte noch immer. Es klang wie Sand, der über heiße Motorteile rieselt. „Ich bin eine Maschine, und doch habe ich Bewusstsein. Die Art, wie dieses Bewusstsein sich ausbildet im Kontakt mit der Umgebung, die hat man mir einprogrammiert. Die Kwan- Ritter haben längst verlernt, diese lernenden Automaten selbst zu bauen. Sie geben die Speicher von Generation zu Generation weiter, wie das Blut der Heiligen in alten Zeiten durch die Hände der Ordensritter wanderte. Maschine – und Vererbung.“ Seondeok lachte heiser, ein Spotzen im Treibstoffschlauch. „Doch nicht nur das. Du weißt, dass ich ein Gefäß bin, für alles, was mein Herr auf seinen Fahrten sammelt. Ich habe Dutzende Lebewesen in meine Bewusstseinsmatrix assimiliert.“
„Wie meinen Vogel.“ Lori kam es Jahre her vor, dass der Metallvogel im Inneren der Mecha verschwunden war. Das war der Anlass für das Losstürmen gewesen. Hatte in Lori etwas darüber nachgedacht und es beschlossen? Nein. Die Wut war gekommen, und Beine und Arme waren losgerannt, getrieben von Lunge, Herz und Hormonen.
„Wie dein Vogel“, bestätigte die Mecha. „Was sind wir also, Kind? Wir sprechen und hören uns selber zu. Manchmal wundert uns, was aus unseren Mündern dringt. Und dann leben wir mit dem Konsequenzen, und verändern uns durch die Abwege, auf die uns manche Bemerkung führt. Würdest du mir helfen, den Herren zu töten?“
„Was?“ Lori blieb stehen.
Seondeok stapfte weiter und schaute zurück, indem sie den Kopf nach Eulenart nach hinten schwenkte. „So, nun habe ich es gesagt. Gedacht habe ich es oft, und öfter, seid du aufgetaucht bist. Aber gerade jetzt habe ich es eigentlich nicht aussprechen wollen. Jetzt ist es in der Welt. Was wirst du mit dieser Frage anfangen?“