Das Planetenschloss 31

Das Planetenschloss 31

Herr Terramar hing alleine in der Felswand. Dunkelheit umgab ihn. Er hörte den Puls in den Ohren. Sonst war es vollkommen still. Weder von Seondeok noch von Lori hörte er einen Aufschlag, auch keine Schrei des Kindes. Es war, als hätte die Finsternis sie verschluckt.

Der Ritter zwang sich, die Augen nur halb zu schließen, sijad aden, der Vorhang, der die Welt stillstellt, und den Atem weiter regelmäßig aus- und einströmen zu lassen, elef ni-erem, das Kommen und Gehen. Zugleich praktizierte er muandem, das Vorbeiziehenlassen der Regungen. Entsetzen, Furcht, Todesangst, unzählige Pfade möglicher Zukünfte, das alles warf sein Affenhirn ihm entgegen, als wären nicht Millionen von Jahren vergangen, seitdem seine Vorfahren auf dem Ursprungsplaneten am Grund des Schwerkraftbrunnens sich aufgerichtet und das Gesicht zu den Sternen emporgewendet hatten.

Alle diese Gefühle, alle diese Gedanken hatten ihre Berechtigung. Doch es lag an ihm, ihnen die Bedeutung zuzuweisen. Oft warf man den Kwan-Rittern vor, gleichgültig oder kaltherzig zu sein, unmenschliche Automaten, die der Welt rein rational gegenübertraten, um sich auf dem Weg zur Erleuchtung nicht in ihre Belange zu verstricken. Nichts hätte weiter von der Wahrheit entfernt sein können. Terramar empfand aufrichtiges Entsetzen über den Verlust seiner Gefährten und alle seine Gedanken stoben davon, um Pläne zu ihrer Rettung zu entwerfen, ganz egal, wie unrealistisch, ja gefährlich sie auch sein mochten. Das Kwan lehrte ihn lediglich, sich nicht fortreißen zu lassen, sondern diese Regungen als das zu erkennen, was sie waren: Spiegelungen seiner Hirnchemie, Echos alter Ängste, die zum Teil noch aus den Erfahrungen seiner Vorfahren und Lehrer herrührten und Bilder seiner selbst – als Held, als Opfer, als Teil von Zukünften, in denen die Gefahr gebannt war oder so radikal gesiegt hatte, dass eine echte Anstrengung seinerseits nicht mehr nötig war.

Langsam klärte sich sein Blick. Er gestattete der Welt, wieder näher zu treten. Im Stillen stattete er seiner Lehrmeisterin Paxanubes Dank ab, nicht aus Aberglaube, sie könne ihn hören oder auf irgendeine mysteriöse Weise den Dank empfangen, sondern weil er Dankbarkeit in diesem Augenblick aufrichtig empfand und weil er es sich selbst schuldete, sich das Wirken der Ausbilderin an ihm zu vergegenwärtigen. Es war beinahe eine Frage der Hygiene, wie das Händewaschen oder das Meiden eines schädlichen Rausches.

Dann stieß er sich von der Felswand ab und schnellte ins Nichts. Kaum begann der Fallwind an seinen Haaren zu zerren, löste er auch schon die Sicherheitsleinen, die ihm jetzt, im Sturzflug, gefährlich werden konnten. Da ihm der Gesichtssinn in der absoluten Schwärze ohnehin nichts nützte, schloss er die Augen, um sich desto besser auf die Hautempfindungen einstellen zu können. Auch der Hörsinn hatte beinahe jeden Nutzen eingebüßt. Das An- und Abschwellen des Rauschens mochte ihm höchstens nutzen, wenn es sich offenkundig veränderte.

Herr Terramar stürzte so schnell, wie es seine Masse, die Anziehungskraft des Himmelskörpers, auf dem er sich befand, und die Beschaffenheit des Gasgemisches um ihn herum bestimmten. Eine dieser Variablen veränderte sich, und bestätigte damit die Theorie, die ihn bewogen hatte, die Felswand aufzugeben.

Die Luft wurde zäher.

Die Maschine aus Traum und Eiweiß in seinem Kopf spie Erleichterung aus. Die Milisekunde, in der der Chemiecocktail die Oberhand über sein jahrelanges Training gewann, reicht aus, um Jahre erlebter Zeit abzuspulen.

Terramar befand sich in einer weitläufigen Halle mit hohen Fenstern. Eine Gestalt in einer Robe ähnlich der seinen, bewaffnet mit einer Kettensichel, stand reglos am anderen Ende der Anlage. In ihrem Rücken war eine Tür in die weiße Wand eingelassen. Hinter Terramar gab es eine solche Tür nicht. Durch die bodentiefen Fenster sickerte türkisfarbenes Licht. Als Terramar sich in Bewegung setzte, geschah es im einzig richtigen Augenblick. Sein Atem ging regelmäßig und formte mit dem Tappen der nackten Füße einen Rhythmus, der an das Stampfen einer gut geölten Maschine erinnerte. Das Gegenüber erwartete ihn reglos.

Terramar ließ sich fallen, als das Zucken in der Muskulatur des Türwächters erkennen ließ, dass die Kugel am Ende der Kette wirklich fliegen würde, und dass es sich nicht bloß um ein Täuschungsmanöver handelte. Er rutschte auf dem glatten Boden weiter voran, warf sich noch in der Bewegung zur Seite, um der herabsausenden Sichel auszuweichen, und rammte die Fäuste kurz, aber präzise, gegen die Kniegelenke des Gegners, als er zwischen den Beinen der Gestalt hindurchfuhrt. Hinter ihm sackte der Wächter mit einem kaum hörbaren Gurgeln zusammen. Terramar kam auf die Füße, stieß die Tür auf und warf sich mit wirbelnden Beinen zur Seite, als ihm ein giftgrüner Strahl entgegensauste.

Er landete in der Hocke, stieß die Hände nach vorn, und schleuderte eine Schallwelle durch den Raum, die den feindlichen Zauberer mit einem gewaltigen Aufatmen niederstreckte, als sich hinter dem unsichtbaren Geschoss die Luft ballte, wo ein Vakuum entstanden war.

Noch während das Gegenüber zusammensackte, hechtete Terramar nach vorne, zog ihm, indem er sich abrollte, den Dolch aus dem Gürtel und schleuderte die Waffe blind, nur dem Gehör folgend, dem Vogelmenschen ins Auge, der sich im lautlosen Sturzgreifflug befand. Das gefiederte Wesen wurde zu einem Ball aus Federn und Gebrüll zusammengeknüllt und knallte mit hörbar brechenden Knochen auf den Boden.

Terramar stand auf. Er keuchte, was ihm peinlich war. Ein Novize mit acht Jahren durfte sich derlei Unbeherrschtheiten eigentlich nicht mehr erlauben.

„Sehr gut.“ Die Maschinenstimme war in einem Frequenzbereich angesiedelt und mit einer Sprachmelodie versehen, die Terramar an eine Frau denken ließ. „Deine Ausbilderin hat nicht übertrieben. Ich denke, dass du meiner würdig bist.“

Terramars Herz klopfte schneller. Er wusste, was jetzt geschehen musste. „Willst du also mein Ritter sein, wie ich deine Mecha bin?“

Das Kind hob den Blick und betrachtete den Kampfroboter, der vor ihm aufragte. Keine andere Maschine, wusste es, käme in Frage, um den Bund zwischen Ritter und Mecha einzugehen, der beide in Abhängigkeit und Treue für ein Leben miteinander verschmolz.

„Ich will es“, sagte Terramar.

Die Mecha sank aufs Knie und senkte schnaubend den Kopf. „Ich bin Seondeok“, verkündete die helle Stimme so gleichförmig, als stelle sie das Ergebnis einer Berechnung fest. „Ich bin deine Mecha und versammle die Seelen deiner Feinde in mir. Bring mir vom Blut deiner Lehrmeisterin, des Zauberers und des Vogelmenschen, damit sie in meinem Speicher weiterleben.“

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