Das Planetenschloss 32
Die erste erbeutete Seele: Ein Sumpfmonster aus den unwegsamen Weiten Perelandras. Schuppig, grün-braun, blauäugig, Kiemen wie Schleier und Tentakel vom schmutzigen Rosa sternschnäuziger Maulwürfe. Seine Seele brachte Trägheit mit, die in Kampfesrausch umschlagen konnte, und eine brachiale Mütterlichkeit.
Die zweite Seele: Die Kapitänin eines Frachtschiffs, das zwischen zwei abgelegenen Kolonien im Trondheim-Nebel verkehrte, und Kohle und Gen-Sklaven gegen Androidenmilch und Tabak tauschte. Sie brachte Verschlagenheit und Sentimentalität mit.
Die sechste: ein Affenmensch aus einer der versunkenen Städte von Neo-Venus, ein Schamane seiner Leute, der aus den Eingeweiden der Shi’Heng, der obersten Kaste der Affenmenschen, die Zeiten las, zu denen sich er Eispanzer über der Tal öffnen würde. Seine Seele brachte einen unfehlbaren Geruchssinn mit sich, die Liebe zu Kindern und die Gabe, Beziehungen zwischen allem und jedem herzustellen.
Die achtzehnte: Ein Kristallgehirn aus dem Frachtraum eines lange verlassenen Forschungsschiffes, dessen Besatzung von einer experimentellen Viruserkrankung dahingerafft worden war. Es brachte Bilder von fernen Sternbildern in Falschfarben mit, ein Sirren und ein schwellendes Klingen, dessen Modulationen Informationen vermittelten, die Terramar und Seondeok derart erschreckten, dass sie sich von einem reisen Psi-Doktor der Deltarianer aus dem Gedächtnis löschen ließen.
Die zweiunddreißigste: Eine Zyklopen-Tigerin aus den unterseeischen Dschungeln des Tau-Imperiums, von Beruf Teppichknüpferin, eine hochgeachtete Profession im Reich des Tau-Imperators, da sie unterschiedlichste politische Positionen zu einem Bild verwebte, das zur Entscheidungsgrundlage des in tiefer Meditation über den rauchenden Spalten der Schwefelhöhlen verharrenden Monarchen wurde. Sie brachte die Lust an der hexaglobianischen Küche mit, das Gefühl haarfeiner Schnitte auf der Zunge und die Fähigkeit, noch den dünnsten Faden durch das Nadelöhr zu führen.
Die hundertachtzehnte: Zwillingsriesen, die im minimalen Schwerefeld zwischen den einander umschwirrenden Monden von Rho umhertrudelten, versunken im Zwiegespräch der beiden Hirne, das so lange andauerte, bis alles gesagt war, und die beiden Giganten sich voneinander lösten, um jeweils einem anderen vierarmigen, hunderte von Standardeinheiten großen Riesen zuzutrudeln, mit dem ein neuer Austausch begann. Sie brachten das Gefühl körperlosen Schwebens, einen sanften, aber mächtigen Geschlechtstrieb und letztgültige Gewissheit über die Hierarchie der Farben im Spektrum ihrer mondumtosten Heimat.
Die zweihundertsiebte Seele war die von Loris Vogel gewesen. Eine Schachtelseele, ähnlich dem Inneren von Seondeoks Speicher. Sie vereinte in sich viele kleine Lebewesen von Loris Heimat und die Erinnerung des abgestürzten Raumfahrers von der Erde an gewisse Computerspiele und phantastische Bilderwelten.
Drei Speicherplätze blieben noch in Seondeoks Modulen. Zweihundertundzehn Seelen bildeten nach der ewigen Weisheit des Kwan den Kreis der All-Seele, das Maß des Wissens, der Erfahrung und der kreatürlichen Essenz, die wie Splitter eines Kaleidoskops die Ganzheit des Universums repräsentierten. Wer zweihundertundzehn Seelen sein eigen nannte, konnte diese Splitter in Kwan-Trance so ordnen, dass die heilige Gesamtheit zu schauen war, und damit auch ihre Grenze und ihr Jenseits.
Im Schloss am fernen Horizont von Loris Welt sollte der Höchste des Ordens hausen, der ToÖtemIr, der allein das Geheimnis der Trance kannte und es nur im Kampf hergeben würde. Denn nur im Kampf auf Leben und Tod würde sich ein Nachfolger als würdig erweisen, seinen Platz einzunehmen, als All-Seher, All-Wissender und All-Schauender, der zugleich auch Hüter des reinen Nichts, der Blicklosigkeit und der Leere des Vergessens war. Inmitten des wirbelnden Kosmos war er die Achse, um die sich das Rad der Erscheinungen drehte. Weil es ihn gab, drehte sich alles in Vielfalt weiter, aber auch gehalten durch Regeln, durch die kosmische Ordnung, frei, aber nicht chaotisch, sondern gebunden an Ursache, Wirkung, Zeit und Raum.
Herr Terramar hatte ein Leben lang nach dem Schloss gesucht. Wäre er erst ToÖtemIr, würde er dem Universum die Freiheit schenken. Alles sollte gehen, wohin es wollte, und die Form annehmen, die ihm beliebte. De Gesetze der bisherigen Ordnung gebärdeten sich als wohlwollend, schützend, allseitig gerecht. Herr Terramar wusste, dass sie die Welt in Fesseln hielten. Je näher er den zweihundertundzehn Seelen kam, desto mehr spürte er die Enge des vermeintlich grenzenlosen Universums. Die Gesetze und Gewichtungen, die er im Kaleidoskop der erbeuteten Seelen erahnte, waren am Ende klein, von geringer Komplexität und erstickend eng. Nur wenig durfte sein von dem, was hätte sein können. Terramar wollte alles zulassen.