Das Planetenschloss 15

Das Planetenschloss 15

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Das Wort lag mitten im Raum. Es pulsierte und stieß schwache Laute aus. Herr Terramar trat näher. Etwas wandte sich ihm zu: Falten wie zusammengekniffene Augen, eine blasige, platzende Öffnung. Der Ritter erschauderte, als das Wort Fäden nach ihm reckte und kraftlos fallen ließ.

„Herr Engel“, sagte er und erhob sich. „Verzeiht mir, wenn ich eure Gabe nicht annehmen kann. Doch mir will scheinen, dieses Wort, wie ihr sagt, ist eher ein Teil von euch. Ihr seid in dieser Pyramide gefangen. Würde das Kind das Wort aussprechen, das ihr uns vor die Füße gespien habt, so meine ich, dass es ein Teil von ihm werden würde. Es ist, verzeiht, ein Parasit, und gewiss euer Versuch, im Körper des Kindes diesen Ort zu verlassen, wenn auch mit einem abgespaltenen Teil. Doch ebenso wie der, dem ihr einst dientet, seid ihr viele und doch unteilbar. Freiheit für diesen Samen, aus dem wieder ihr sprießen würdet, wäre Freiheit für euch. Was und ob überhaupt von dem Kind bliebe, vermag ich nicht zu sagen. Ich kann euch diesen Gefallen nicht tun. Vielleicht gibt es etwas anderes, mit dem ich euch zu Diensten sein kann?“

Das Engelsgesicht waberte, wuchs und schrumpfte, während es zu überlegen schien. Dann riss es Augen und Mund auf, bis die Maske platzte. Herr Terramar riss die Hand vor die Augen, als die Leere dahinter den Raum erfüllte. Lori schwebte durch die schwere Luft im Raum zu Boden. Sofort hatte der alte Ritter sich wieder gefasst. Er riss Lori an sich und wirbelte herum.

„Seondeok! Abflug!“

Die Mecha klappte die Kanzel auf, doch es war zu spät. Schwärze kroch über die Öffnung, durch sie hereingeflogen waren. Es gab keinen Ausweg mehr. Das Engelsgesicht aus blendendem Nichts explodierte, um sie zu verschlingen. Seondeok wirbelte mit einem Aufheulen der Motoren herum und brachte sich hinter den Ritter mit dem Kind auf dem Arm. Am breiten Rücken prallte der Rachen des Engels ab. Teile des Gesichts leckten um Schultern und Brust. Im Schutz der Mecha rannte Herr Terramar zur Wand des Gewölbes, entließ Lori aus den Armen, sodass sie in der Schwärze schwebte, und legte die Hand an die einander überlappenden Schattenzungen. Das Engelslicht zerrte an den Umrissen von Ritter, Mecha und Kind und drohte alles zu verwischen. Der alte Ritter griff in die Wand und zog mit schmerzverzerrtem Gesicht das Schwarz zu sich heran. Es dehnte sich lang und gab endlich nach. Mit einem Schmatzen löste sich der Propf. Zurück blieb ein Wirbel, der sich stetig vergrößerte.

Der Engel kreischte. Herr Terramar schrie auf. Seine Hände zuckten zu den Ohren, bevor er Lori griff. Blut lief ihm aus den Ohren, schwarz im blendenden Licht des Engels. Geduckt sprang er in den Wirbel. Seondeok schob sich im Krabbengang hinterher, faltete Kopf und Arme in den Oberkörper, bis sie beinahe Kugelform angenommen hatte, und schlüpfte, umspülte vom Rasen des Engels, ebenfalls durch die Öffnung. Mit einem Schmatzen, das Herr Terramar mehr spürte als hörte, schloss sich der Wirbel hinter der Mecha. Das Wutgeheul des Engels wurde jäh abgeschnitten.

Ritter, Mecha und Kind durchquerten einen Raum, der in alle Richtungen zerfloss, keine Schwerkraft, kein Unten, Oben oder Seitwärts kannte. Ob sie flogen, trieben oder stürzten, wusste keiner von ihnen, denn weder die Nerven des Herrn Terramar noch die Sensoren Seondeoks konnten die Daten verarbeiten, die ihnen entgegenbrandeten.

Urplötzlich kehrten sie den Fluss der gewöhnlichen Zeit zurück und standen im Raum, den ihre Körper kannten. Herr Terramar ging in die Knie und schob noch Lori von sich, bevor er sich erbrach. Seondeok stürzte haltlos und krachte gegen eine Metallwand, wo sie steif,  mit flackernden Anzeigen liegen blieb wie weggeworfenes Werkzeug. Lori rollte sich stöhnend auf die Seite.

Die drei befanden sich in einem Korridor aus beigefarbenem Kunststoff. Leuchtstoffröhren erhellten die schmucklose Umgebung. Ein Leitsystem aus matten Farbbahnen zog sich über die Wand. Ein leichter Ozongeruch lag in der Luft. Bis auf das Summen der Lampen war nichts zu hören.

Herr Terramar richtet sich auf wischte sich über den Mund. Seine Stimme zitterte, als er Seondeok anwies, die Umgebung zu scannen. Die Mecha fuhr die Arme aus und wuchtete sich in die Senkrechte. Das Flackern auf ihren Displays wich der üblichen geordneten Spiegelung ihrer inneren Abläufe und der Darstellung der Umgebungsdaten.

„Raumzeitbedingungen entsprechen den Parametern der Planetenoberfläche. Temperatur ist geringfügig erhöht, Luftfeuchtigkeit um 15% gesenkt. Wir befinden uns auf einer der oberen Ebenen der Pyramide, etwa 200 Meter von der Basis entfernt. Die Kristallspitze mit dem Gefängnis des Engels liegt 1,43 km unter uns. Von dort empfange ich einen Datensturm, der meine Messgeräte überfordert. Um uns befinden sich zahlreiche verschachtelte Räume und Gänge unterschiedlichster Größe. Ich empfange Hinweise auf Bioorganismen, sowie robotisches und Quantenleben. Es gibt mechanische Vorrichtungen, Manipulationen von Licht und Schwerkraft, sowie magische Influenzien, die offensichtlich als Fallen konzipiert sind. Ich kann eine Karte erstellen.“

Herr Terramar nahm einen tiefen Zug aus seiner Wasserflasche. „Tu das.“ Er zog das Wasser durch den Mund, spuckte aus, und trank dann gierig. „Sind das Sicherheitsmaßnahmen, die das Gefängnis des Engels abriegeln?“

Seondeok überlegte zirpend. „Vermutlich nicht“, sagte sie schließlich. „Diese Ebene hat eine Art Zentrum, um das die gesamte Anlage gruppiert zu sein scheint. Meine Instrumente können die Abschirmung dieses Bereichs nicht durchdringen.“

Herr Terramar kniete neben Lori am Boden und stricht eine Handbreit über ihrem Körper durch die Luft. „Sie ist sehr schwach. Wenn wir nicht bald Hilfe finden, stirbt sie. Irgendeine Vermutung, was dieses Labyrinth umschließt? Es muss wichtig und wertvoll sein.“

„Korrekt.“ Seondeok schnarrte und piepste. „Meine beste Vermutung lautet, dass es sich um die Kommandoeinheit der Pyramide handelt. Wenn wir uns bis dorthin durchschlagen können, haben wir Kontrolle über die Energieflüsse der Anlage. Vielleicht finden wir dann eine Möglichkeit, Lori mit der Kraft der Alten zu heilen.“

„Würde eine Energieumleitung dazu führen, dass der Engel GatTinBulKot frei käme?“

„Je nach Art und Menge der umgeleiteten Energie geschieht dies mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 72 und 98%.“

„Es ist also nicht sicher. Versuchen wir es.“ Der Ritter sprang auf, und zog Loris Körper wie an unsichtbaren Bändern in die Höhe. „Route berechnen, bitte.“

„Priorität auf Sicherheit?“

„Priorität auf Schnelligkeit.“

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