Das Planetenschloss 19

Das Planetenschloss 19

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Stampfend setzte sich Seondeok in Bewegung. Teile des Gangs platzten ab und sprühten durch die Luft. Die Mecha klemmte sich Lori unter den Arm, riss den Ritter mit der freien Pranke aus vollem Lauf empor, und stopfte ihn sich in die aufschnappende Pilotenkanzel. Hinter ihnen tauchte der Engel an der Decke auf. Wie ein Schwimmer schnellte er sich durch das Konglomerat aus Schleim und Plastik, reckte den Kopf in den Gang und deckte die Fliehenden mit grünen Kugeln ein, die am Boden und an den Wänden zerbarsten, wo sie rauchende Feuernester entzündeten. Qualm wälzte sich durch den Gang, durch den Seondeoks Schweinwerferaugen den Weg zum Fahrstuhlschacht zeichneten. Gifitges Wetterleuchten pulsierte in den Tiefen der Qualmwolken, und das gleißende Maul des Engels verfolgte sie wie eine rachsüchtige Sonne.

Dre Fahrstuhl war ein silbriges Band im schrundigen Kanal. „Schnell! Schweiß das auf!“, brüllte Herr Terramar, und prüfte das Bild der rückwärtigen Kamera. Auf einer Wolke aus Rauch und Hexenfeuer jagte der Engel heran und spie Vernichtung.

„Keine Zeit.“ Seondeok blendete die roten Ziffer auf der Innenseite der Kanzel ein. Herr Terramar schloss die Augen und atmete tief ein und aus. „Herr?“ Die Stimme der Mecha klang maschinell gleichförmig, wo ein Mensch besorgt gewesen wäre.

„Gleich.“

„Herr. Es sind nur noch 5 Komma …“

„Ich habe es gleich.“

„3 Komma …“

„Ich sagte, ich …“

„1 Komma …“

„…ICH HABE ES GLEICH!“

Ein Tippen an den Schubhebel schleuderte Seondeok voran. Sie durchstieß die Metallwand des Schachtes als sei sie nicht mehr als herabfließendes Wasser. Auf der anderen Seite führte sie der Schritt ins Nichts. Sie stürzte in die Tiefe, vorbei an Kabelbündeln und schwach glimmender Notbeleuchtung. Ein Krachen hallte durch den Schacht, als über ihr etwas die nun wieder undurchdringliche Metallhülle rammte. Im schwachen Licht zeichnete sich das wutverzerrte Gesicht des Engels Stahl ab. Bei seinem Rückzug riss er einen Teil des ausgebeulten Metalls mit sich, bevor er in einem erneuten Anlauf Gesicht und Körperunterseite in den Schacht schob, wie zuvor durch die Decke des Gangs. Zischend näherte sich von unten die Fahrstuhlkabine. Auf ihrem Dach stand Seondeok, den Ritter im Bauch, Lori vor sich abgelegt. Metallklaue über Metallklaue wuchtete sie die Kabine am Stahlseil in die Höhe. Der Engel ließ sich in die Wand zurückfallen, als die Kabine heransauste, um dann in letzter Sekunde in die Unterseite des Metallkastens zu gleiten. Unbemerkt von den drei Fliehenden auf dem Dach hing er mit ausgebreiteten Armen und Beinen, verschmolzen mit dem Metall der Kabine, am Boden, den gleißenden Blick auf den rasch entschwindenden Grund des Schachts gerichtet.

„Status!“, bellte Herr Terramar. „Wohin fahren wir?“

Seondeok zeigte es ihm auf der Innenseite der Kanzel. „Wir kommen ins Freie. Die Oberseite der Pyramide. Beziehungsweise, die Basis, da sie ja mit der Spitze nach unten schwebt.“

„Gut. Von dort können wir fliegend entkommen. Aber sagtest du nicht, der Fahrstuhl führe zum Zentrum der Pyramide? Ich hatte gehofft, dort Steuereinheiten zu finden. Etwas, was uns diesen Engel vom Hals hält. Und hoffentlich etwas, das Lori hilft.“

Seondeok zirpte, während sie erneut die Umgebung scannte. Ein misstönendes Fipen beendete ihre Überlegungen, „Daten inkongruent. Wiederhole: Inkongruent. Menschliche Beurteilung nötig.“ Die Innenseite der Kanzel flackerte, als Strukturpläne darüber hinwegzogen.

„Interessant.“ Herr Terramar beugte sich vor. „Der Weg nach Innen führt nach draußen. Wir erreichen tatsächlich das Zentrum der Pyramide. Aber alle Scans prognostizieren, dass wir damit zugleich den höchsten Punkt erreichen. Ob das ein antikes Teleportsystem ist? Hm, nein. Eher eine Dimensionsfaltung. Und das ohne Energieverlust. Das ist …“

„Technik der Alten“, vollendete Seondeok den Satz.

„Ja. Kannst du sehen, was uns oben erwartet?“

Seondeok brummte gequält, als bereite ihr das Extrapolieren der Daten rund um die Dimensionsfaltung Schmerzen. „Oragnisches Material. Etwas Lebendiges. Stationär. Wasser in verschiedenen Aggregatszuständen. Biotische, miteinander interagierende Systeme. Und eine Präsenz, die ich nicht einordnen kann. Definitiv lebendig. Aber auch mechanoid. Mit der Umgebung verflochten, wie ein Myzel. Aber vor allem …“

Diesmal war es Herr Terramar, der den Satz beendete. „…eine spektrale Komponente. Ektoplasmatische und thaumaturgische Interferenzmuster. Es ist …“

„…ein Wald“, brummte Seondeok.

„Ja.“ Der Kwan-Ritter holte mit einem Wisch Loris Biodaten auf einen Nebenbildschirm. Das Kind lag reglos auf dem Fahrstuhldach. „Ein Wald mag viele Möglichkeiten der Heilung bieten. Zumal, wenn sich darin eine derartige Präsenz aufhält. Einer der Alten.“

Der Engel am Boden der Kabine grinste böse.

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