Das Planetenschloss 4
Die Hexe hob ab. Sie klemmte den Kunststoffhörer zwischen Ohr und Kinn, während sie das Kind beobachtete, das den Kopf des sterbenden Vogels in den Händen barg. „Pass auf, dass du nicht …“ Sie hielt die Sprechmuschel zu und machte eine wegwerfende Geste, doch als eine Stimme aus dem Hörer krächzte, wandte sie sich wieder dem Anrufer zu. „Ja? Nein, ist hier nicht angekommen. Ist verstorben. Ja, richtig. Nur einer. Das Kind hat ihn wohl kurz nach der Landung entdeckt, und der Vogel hat ihn erbeutet. Ja, ganz sicher. Nein, keine weiteren Überlebenden.“
Die Stimme krächzte, das Kind schluchzte und die Hexe lauschte, indem sie die langen Finger knetete. „Hm“, machte sie. „Hm, genau.“
Eine Klingel schnarrte, und an der Wand leuchtete ein roter Kristall auf. Die Hexe verdeckte die Sprechmuschel und zischte dem Kind zu: „Mach auf. Los, geh schon.“
Das Kind stand widerwillig auf, wischte sich die Tränen ab und huschte mit verschmiertem Blut im Gesicht zu der Leiter, die aus der Eingangsröhre in den Wohnraum ragte. Es warf einen Blick auf den Bildschirm, der den Eingangsbereich an der Oberfläche zeigte, und legte den Hebel um, der die Luke öffnete.
„Alle Spuren des Fremden sind getilgt“, sagte die Hexe. „Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“ Sie hielt im Kneten der Finger inne und starrte auf die Blutlache am Kopf des Vogels, die sich langsam, aber stetig über den Boden ausbreitete, wie ein zielstrebiges primitives Wesen auf der Suche nach Nahrung. Als die beiden Fremden von der Leiter in den Wohnraum sprangen, zuckte ihr Blick zu ihnen.
Es waren Händler, Kabuki. Stumm durchkreuzte dieses Volk – wenn es ein Volk war – die Wüste, stets zu zweit, und niemand wusste, wo sie ihren Wohnsitz hatten, oder ob es überhaupt eine Siedlung der Kabuki gab. Von Kopf bis Fuß waren sie in Stoffbahnen gehüllt, die Augen von schwarzen, schimmernden Linsen verdeckt, und auf dem Kopf zwei spitze, ebenfalls umwickelte Vorsprünge, die Hörner oder eine Art Kopfbedeckung sein mochten. Zwischen diesen Hörnern trug jeder Kabuki eine goldene Scheibe, die das einzige Merkmal war, anhand dessen man sie unterscheiden konnte, war doch jede dieser Scheiben mit individuellen Gravuren versehen.
Wieder hielt die Hexe die Muschel zu. „Herzlich willkommen“, sagte sie. „Ich bin gleich bei Ihnen. Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass wir nichts kaufen. Wir sind arm und haben selbst kaum das Nötige zum Leben. Aber unseren Tirak und unseren Aufbereiter teilen wir gerne mit euch.“
Hastig sprach sie in den Hörer: „Das Kind hat im Wrack nichts Besonderes bemerkt. Aber Sie haben da sicherlich Ihre eigenen Methoden. Fürs Erste scheint der Fall jedoch abgeschlossen.“ Sie nickte noch ein paar Mal, brummte einen Abschied, und hängte den Hörer ein. „Das war das Schloss“, sagte sie zu niemand Bestimmtem. „Man hat dort den Absturz des fremden Schiffes aufgezeichnet. Darf ich fragen, was Sie da machen?“
Die beiden Kabuki tauschten die flatternden Gesten ihrer Gemeinschaft, bei denen die Hände umherhuschten wie kleine Flugechsen. Unter den entsetzten Blicken des Kindes zog einer der beiden eine Phiole aus den Tiefen seiner Verhüllung und machte sich daran, das Blut des Vogels aufzufangen, während der andere höfliche und auffordernde Zeichen in Richtung der Hausherrin vollführte.
Die Hexe begriff, dass die stummen Händler nicht gekommen waren, um ihre Waren anzupreisen. Ihr Interesse galt dem Blut des Metallvogels. Die Hexe erschauderte. Oder dem, was darin ist.