Hm. Über Dietmar Daths SKYRMIONEN.
Ein oft gehörter Vorwurf gegenüber Dietmar Dath lautet, er schreibe seine Romane schlampig, kursorisch, ohne Formstrenge. Angesichts der knapp 1000 Seiten „Skyrmionen“ waren viele (na gut, drei) meiner Online-Bekanntschaften schon dem Anschein nach mit diesem Urteil bei der Hand.
Dagegen muss man ihn tatsächlich verteidigen, denn obwohl der Roman kein Interesse an den Bauplänen zeitgenössischer Unterhaltungsliteratur hat – also, Interesse schon, wie an so vielen Dingen, aber er setzt sie höchstens vorübergehend, im Dienst seiner größeren Idee ein –, folgt er doch einem Prinzip und zieht es konsequent, unmenschlich konsequent durch. „Unmenschlich“ ist überhaupt ein gutes Schlagwort für dieses Buch, aber dazu gleich mehr.
Was das Buch vorhat, kann man vielleicht so beschreiben: Dietmar Dath steht an einem Seeufer und lässt Steine flitschen. So weit wie möglich, mit so oft aufditschen wie möglich. Dann sagt er: Lasst uns mal nicht den Stein, den See oder die vielen Aufditscher angucken, sondern das alles zusammen, das Fliegen, die Bewegung.
Ich will euch zeigen, dass es doch geil wäre, wenn wir als Menschen unsere Geschichte so in die Hand nehmen würden, dass alles so rasant wäre wie dieser Steinflug. Menschen (wie wir) glauben leider immer noch, dass sie die Wirbel im Wasser sind, dass ihr Gedanken die Tiefe zum Seegrund sind. In Wahrheit ist es beinahe umgekehrt. Wir alle entstehen als Wirbel, weil der Stein sich bewegt, und was wir sind, ist Ergebnis der Bewegung und der Verbundenheit mit den anderen Wirbeln. Unsere Kunst glotzt in die Tiefe dieser Wirbel, aber viel wichtiger wäre doch eigentlich diese ganze Bewegung. Dann könnten wir nämlich erkennen, dass uns dieser Blick in die Tiefe total ablenkt. Wir müssen begreifen, dass die Geschichte und die Menschen in ihre der ganze Wurf sind, in dem alles mit allem zusammenhängt und sich alles aufeinander abbilden lässt, weil es ja im Gesamtsystem des Steineflitschens aus denselben Ursachen hervorgeht.
Wenn wir das durchdrungen haben, können wir aufhören, uns immer komischer alleine verwirbeln zu wollen, sondern können darangehen, die physikalischen Faktoren hinter Stein und Wurf überhaupt erstmal klarzukriegen, und dann den Stein zu lenken, wohin wir wollen. Weil wir Teil des Systems sind, können wir es auch beeinflussen, das ist Dialektik. Übrigens gibt es da so eine Theorie, die befasst sich mit so winzigen Wirbeln, das sind Skyrmionen, so heißt dann auch das Buch, und es gibt Marx und Hegel, die haben sich die Geschichte schon mal angeguckt. Also, grob gesagt, Vergesellschaftung ist das Thema und die Form, und wie man die wissenschaftlich/künstlerisch angeht. Selbstähnlichkeit rules.
Aus diesem Bauplan folgt alles andere.
Warum das Buch so dick sein muss (viele Aufditscher, es lässt sich immer noch mehr auf immer noch mehr abbilden), das Kursorische, Fetzenhafte (sind ja nur Steinditscher, bloß nicht stehenbleiben, nicht bürgerlich die Tiefe ausloten, ich will ja die Kraftbögen zeigen), die Fabel (Superheldinnen bauen über Jahrzehnte einen Computer/Stadt/Lebewesen und gehen dafür über Leichen, ja, das ist auch der Kommunismus, ja, das ist auch mein Buch, und überhaupt die ganzen anderen Bücher, die ich schon geschrieben habe, denn ich schreibe mich da auch selbst mit rein, weil Selbstähnlichkeit), die Form, in der auch das Gegenteil von dem bisher Beschriebenen auftaucht (plötzlich stringentes erzählen, Infragestellen der eigenen Position, auch früherer Werke) – weil, das muss natürlich von einem richtig weit ausholenden Steinwurf mit erfasst werden.
Unmenschlichkeit.
Das Buch ist unmenschlich, weil es diese Form, dieses historische, wissenschaftliche, künstlerische Vorgehen jederzeit vor die Menschen stellt, die es betreiben und und denen es möglicherweise nützen sollte. Gut, das kann man künstlerisch rechtfertigen und sagen: Ich schaue in diesem Text eben nur auf die eine Seite, das andere interessiert mich hier gerade nicht. Man kann sogar eine Art „Sozialismus in einem Land“-Theorie stricken: Ich muss das so machen, weil sonst niemand diese Perspektive einnimmt, alle kleben am Subjektiven, auch und gerade die Fortschrittlichen. Gut, kann ich einsehen. Gefällt mir nicht, aber okay. Hier und da tauchen Abschnitte auf, in denen auf diese Frage Bezug genommen wird, und der Text sagt auch, ja ist so, aber sorry, geht nicht anders. Hm.
Das Buch ist unmenschlich, weil es an Figuren nicht interessiert ist. Das ist ein komisches Argument. Immerhin gibt es in modernen Literatur Dutzende sehr gute Bücher, die ebenso verfahren, wo die Figuren keine bürgerlichen Vollsubjekte mehr sind, sondern mehr oder weniger komische Hutständer, an denen Textideen aufgehängt werden. Im Gegensatz zu, sagen wir, Mann, Beckett, Woolf, Barnes oder auch Leuten, die Dath noch näher sind: die späten Delany und LeGuin, zB fehlt hier jede Art von Mitgefühl oder auch nur Anerkennung dieser (Achtung, Schwerdeutsch im Anflug) Geworfenheit. Wo man sagen könnte: Gut, wir sind alle nur kleine Skyr-Dingis im Kühlregal des Kapitalismus, warenförmige, mit Sprache verkleidete Ersatzprodukte für so was wie Menschen, aber wir wollen ja trotzdem SF lesen, Knäckebrot mit Streichcreme essen, Star Was gucken, wie geht denn das jetzt, menno … ist es hier einfach egal. Die Menschen in diesem Buch sind durch die Bank egal, und wo sie es nicht sind, wird ihr Nichtegalsein wortreich behauptet, aber mit dem restlichen 800 Seiten erschlagen wie eine Fliege an der Wand von Stalins Sommerresidenz.
Überhaupt, Stalin. Da der Kommunismus als welthistorischer Superrechner nicht für die Menschen da ist, sondern sie für ihn (als Ermöglichende, als Produkt der Vergesellschaftung) setzte sich die Unmenschlichkeit des Bauprinzips fort. Historisch: Stalin hat Interessantes zur Linguistik verfasst, ansonsten, er musste alles so machen WEGEN KOMMUNISMUS und wegen dem kapitalistischen Weltsystem. China: Immerhin haben sie die Autobahnen gebaut und der Westen ist nur neidisch und überhaupt genau so schlimm, Propaganda. Ja, okay, aber … hm.
Zugestanden: Das Buch thematisiert an mehreren Stellen sowohl die Verbrechen, die für die Superrechnerdingssache nötig sind als Verbrechen, als auch mindestens einmal das Verhältnis von Individuum und Kollektiv über den Begriff der Solidarität. Wenn ich das richtig verstanden habe, alles ganz schlimm, aber innerhalb des Gegebenen – wie sonst? Muss man als Verbrechen benennen, klar, aber wenn man da immer dran rummäkelt, kriegt man nie bessere Verhältnisse. Das scheint mir so richtig wie zu einfach. Beziehungsweise: Könnte es nicht wenigstens in einem Text mal anders … na.
Wo wir bei Politik sind: Kein Denker wird glaube ich bei Dath so geschmäht wie Foucault oder gleich der ganze Poststrudelismus, durchaus zu Recht. Nun weiß ich aber nicht, was dieser Roman sich aus Panier geschrieben hat, wenn nicht ausgerechnet, dass der Mensch nur eine Zeichnung im Sand sei, die mit der Flut verschwinden wird. Da im Roman auch viel mit der Psychoanalyse angestellt wird, ist das vielleicht ein Fall von Projektion? Hm.
Unmenschlich gegen mich, denn Literatur ist ein Gespräch. Man darf mir gerne sagen: Ich erzähle dir mal was, was du nicht gleich verstehst. Ich muss leider eine neue Sprache dafür erfinden, bitte bleib erstmal da. Oder auch: Ich weiß selbst noch nicht genau, was ich sagen will, wir gucken mal zusammen. Oder: Ich erzähle dir einfach irgendeinen Quatsch, wird vielleicht lustig. „Show, don´t tell“ oder „Es muss dem Fisch schmecken bla bla“ oder was in so Schreibratgebern steht, das ist natürlich Unfug. Aber um die Gesprächspartner bemühen muss man sich, gerade, wenn man von einer besseren Welt schreiben will, denn im Verhältnis Autor-Leser darf sich doch gerne eine Feinfühligkeit abbilden, für die es in der gegenwärtigen Welt sonst keinen Platz gibt. Ein Text darf einmal nicht Maschine sein, der sich der Lesende zu unterwerfen hat. Hier nicht der Fall, Dath schreibt zur Klärung der eigenen Gedanken, egal, ob zufällig gerade wer dabei ist oder nicht.
Das Allerschlimmste ist aber, dass der Roman unmenschlich gegenüber seinem Autor ist. Das Lesen wurde für mich zunehmend quälend, weil es sich anfühlte, als würde ich jemand in einer manischen Phase zusehen, der ohne Punkt und Komma vor sich hin labert, weil er meint, etwas ganz Großem auf der Spur zu sein. Alles hängt mit allem zusammen. Siehste, siehste? Ja, ach.
Oder einem Freund Mitte Fünfzig, der Partner und Kinder verlässt, weil er meint, in Andalusien eine Töpferwerkstatt eröffnen zu müssen. Man möchte rufen: Junge, lass das doch. Es ist Quatsch. Das bringt nichts. Es führt dich nirgendwo hin. Du hast dich verrannt. Bitte sei doch gut zu dir selbst und schreibe Dinge, die du kannst, die die Spaß machen oder halt auch mal nichts.
(Zu den schmerzhaften Sachen gehört, dass der Text im Sinne seiner selbst auferlegten Mission regelmäßig von Dingen redet, von denen er keine Ahnung hat, was auffällt, wenn man sich zufällig damit auskennt und nahe legt, dass es vielleicht bei anderen Sachverhalten genau so ist. Ich verstehe von vielen Themengebieten in diesem Buch nichts, aber von Kindern und Pädagogik. Junge, Junge. Nicht nur Focuault-Anverwandlung, sondern auch einer „KI“. Queerness. Oder Schwarze Literatur aus Deutschland. Warum, warum, warum.)
Du hast keinen historischen Auftrag. Du musst nichts beweisen und an dir liegt nichts, jedenfalls nicht durch dein Werk. Politisch wäre es besser, du würdest vorleben, wie man sich einem Betrieb und den eigenen Ideen von Leistung und Auftrag auch mal entzieht.
Puh. Es gibt schöne Passagen in dem Buch, etwa, wenn in der Ich-Form von einer Reise nach Amerika berichtet wird. Naturschilderungen. Bilder von unvorstellbaren Maschienen und Seinsformen. Das wäre es doch.
Stattdessen so ein ganz großes Ding, das die ganze Welt erklären soll. Einem um Lichtjahre dümmeren und untalentierteren Autor, Uwe Tellkamp, hat Suhrkamp dem Vernehmen nach jahrelang versucht, seinen Fascho-Quark auszureden. Warum dem viel besseren und sympathischeren Dath niemand in den Arm fällt, wenn er meint, jetzt mal aber wirklich alles erklären zu müssen, das macht mich sauer. „Die Abschaffung der Arten“, „Waffenwetter“, „Für immer in Honig“ und sehr viele Sachtexte von Dath liebe ich. Dass er, wenn man ihn mal live erlebt, einfach ein guter Typ zu sein scheint, und natürlich in seinem Einsatz für den Fortschritt gerade im deutschen Literaturdings nicht genug zu loben – klar.
Über dieses unselige Buch hingegen habe ich schon viel zu viel gesagt, vielleicht schon angesteckt vom Skyrmionen-Quasselwasser. Mit dem hier oft bemühten „Hm“ als Fazit wäre es getan gewesen.