Reitende Leichen straucheln Richtung Kunst

Reitende Leichen straucheln Richtung Kunst

„Die Nacht der reitenden Leichen“ — was für ein Filmtitel! Wenn man keinerlei Affinität zu Horror oder gar Trash hat, fühlt man sich allein durch diese Wortreihung in allen Vorurteilen bestätigt. Billig, grell, albern, oberflächlich, auf reine Schockwirkung bedacht. Selbst für Genrefreund*innen zählt der Titel in die Reihe der augenrollend genannten „So schlecht, dass es schon wieder gut ist“-Machwerke. Ich habe bei oberflächlicher Recherche keine wirklich positive Besprechung des Films gefunden. Im Allgemeinen wird gelobt, dass die titelgebenden Leichen effektvoll inszeniert seien, weniger durch Maske oder Tricktechnik, sondern durch die eigentlich simple Idee, die untoten Templer auf ihren Pferden beständig in Zeitlupe durch die allerdings eindrucksvollen Kirchenruinen wallen zu lassen, wie sie in Spanien nun mal glücklicherweise herumstehen. Hier und da findet man eine freundliches Wort zur Musik: Nichts Besonderes, aber ja, Chöre mit dräuendem Latein, schon ganz gut. In genau einem Beitrag fand ich etwas erwähnt, was auch mir bei der Sichtung des Irgendwie-ja-doch-Klassikers von Amando de Ossorio aus dem Jahr 1971 sofort auffiel, nämlich das vage „cinematische“, „professionelle“ Erscheinungsbild. Während viele Horrorperlen aus der Billo-Ecke sofort wie eine Fernsehproduktion um die Ecke kommen, haben die Kameraleute hier einen hochwertigen Look hinbekommen. Alle sind sich einig, dass es „noch der beste Film der Reihe sei“. Okay, wenn das aber alles ist, was man zugunsten eines Films anführen kann, muss man den doch echt nicht sehen … oder?

Nach dieser Einleitung kann man schon vermuten, dass ich tatsächlich etwas in diesem Streifen sehe, dass die anderthalb Stunden bei Youtube lohnt. Auch meine Erwartung war, dass es sich um völlig ungenießbaren Videotheken-Schmutz handelt, der nur von Leuten hochgehalten wird, die nostalgisch verklärte Jugenderinnerungen an das Nachtprogramm der Privatsender haben, oder in der verkifften Studi-Zeit wirklich jede räudige VHS nach Hause geschleppt haben. Ich rechnete fest damit, den Unsinn nach zehn Minuten wegzuklicken, und wollte an einem müden Abend eigentlich nur mal eine Gucklücke schließen.

Zu meiner Überraschung war ich sehr bald gefesselt, milde überrascht und gespannt, wohin sich dieser auf vielen Ebenen bemerkenswerte Film entwickeln würde. Ganz bis zum Ende hat es dann nicht getragen, aber, wer hätt´s gedacht, das Ding ist um einiges besser, als man annehmen sollte. Schon während des Schauens fing ich an zu überlegen, woran das eigentlich genau liegt, denn den Film umgibt etwas wie dreckiger Feenstaub: Sobald man zu genau hinguckt, verschwindet der Glamour, und man starrt auf etwas ziemlich Hässliches.

Story? Banal, doof, allenfalls noch durch das Flair des spanischen Katholizismus´ von der Flut blöder Horrorklamotten abgehoben.

Figuren? Holzschnittartig wäre noch freundlich ausgedrückt. Neben den beiden „Frauen“ (eine blond, eine dunkel) ein moppeliger Un-Held, ein irrer Wissenschaftler mit dicker Brille, abergläubische Landbevölkerung, uff.

Dialoge? Da weiß man, wo Chat-GPT seinen Unsinn herholt.

Inszenierung? Wie oben beschrieben, ganz okay und tatsächlich für ein paar Minuten fesselnd, weil ausnahmsweise mit eigenen Ideen und Stilwillen umgesetzt, aber keinesfalls genug für einen ganzen Film.

Und doch. Das Ding kriegt einen. Es muss irgendwie mehr als die Summe seiner Teile sein. Tatsächlich ist die „Nacht der reitenden Leichen“ ein schönes Beispiel dafür, dass Horrorfilme nicht von ihrer Originalität und Durchdachtheit leben, sondern oft am Besten funktionieren, wenn sie das Gefühl ansprechen, Unbewusstes, die Eingeweide, und dafür auf Atmosphäre, Bilder und unerklärliche Zwischenräume setzen. Das ist keine neue Erkenntnis. Der Film zeigt aber auch, dass eine solche Wirkung manchmal geradezu trotz filmischer Unzulänglichkeiten, ja gerade wegen täppischer, unzureichender Handwerksleistungen entsteht.

Zunächst hängt der Film vorne schief. Wohl im Versuch, der Figurenkonstellation Tiefe zu verleihen, plänkeln wir 20 Minuten herum, bevor etwas ansatzweise Gruseliges passiert und mal irgendwelche Leichen auch nur aufs Pferd klettern. Hinzu kommt, dass das Drehbuch seine Figuren durch ein Liebesdreieck und sogar etwas Sexploitation interessant machen will. Das scheitert zwar am Unvermögen der Darstellenden und dem stammelnden Drehbuch. Insgesamt bekommen wir durch diese Fehlleistungen aber sehr viel abgefilmtes Touristen-Spanien, das, bunt und laut, zunehmend irritierend wirkt. Die drei Liebenden wirken in ihrem Geplänkel marionettenhaft, die ganze Begegnung so sehr an den Haaren herbeigezogen, dass wir einen geheimen Sinn vermuten; die in der Rückblende erzählte Affäre der beiden Frauen mit dem unbeholfenen Griff ans Nachthemd und dem leidenschaftlichen Umkippen, das eher einer Ohnmacht ähnelt, hingegen seltsam authentisch. Genau so ungeschickt würden sich zwei katholische Mädchen um 1970 im hinteren Spanien vielleicht wirklich anstellen. Das Ganze gipfelt darin, dass die genervte Dunkelhaarige aus dem Zug springt, der merklich unter Schrittgeschwindigkeit dahinklappert, und durch seltsame Weizenfelder auf eine Ruinen zuläuft.

Dort hört der Film — es ist ja auch nur noch eine Figur vor der Kamera — für die nächste Viertelstunde völlig auf, gesprochenes Wort zu verwenden, und lässt, nach Radio, Buch und Schlafsackparatmachung, die Leichen los. In Zeitlupe, unter Chorgesang, irrt die Frau durch unverbundene Gänge, verfolgt von absurd langsamen Untoten, deren verzerrte Gesichter so faltig-einfach sind, wie es nur schlechte Masken und Albträume hinbekommen.

Wir bekommen es in den Film also schnell mit einem Traum zu tun. Die Alltagswelt erscheint übersteigert, mit unfassbarer Bedeutung aufgeladen, ausschnitthaft präsentiert, irgendwie *zu* alltäglich, zufällig-schicksalshaft, ein „uncanny valley“. Menschen bewegen sich wie Puppen, sprechen banales Zeug. Es geht irgendwie um Sex, wir verlassen einen Schritt weit den Bereich des Erlaubten, aber da Handeln ist fetzenhaft, unverbunden. Die Szenerie wechselt sprunghaft, im wahrsten Sinne des Wortes. Eigentlich unmögliche Stunts blieben ohne Folgen. Plötzlich ist da eine Ruine, in der ich, der Traum will es, übernachte. Die Frau, die ich, vielleicht gegen meinen wachen Willen, anhimmele, führt eine Schaufensterpuppen-Fabrik, in der alles rot beleuchtet ist. Vermutlich erneut nur, weil es irgendwie „krass aussieht“, aber sich, etwas fragend angeschaut, natürlich ins Thema der verbotenen lesbischen Beziehung und der Echtheit/Künstlichkeit der Szenerie einfügt. Überhaupt bleiben alle Themen vage, angerissen, in ihrer Bedeutung rätselhaft.

Eine zusätzliche Bedeutungsebene ergibt sich durch die Entstehungsumgebung des Films: Spanien unter Franco, der Faschismus unter der touristischen Oberfläche, die Wiederkehr des Verdrängten und die Strafe für das sexuell Verworfene. Man muss dem Film gar keine Überlegung attestieren, die er so bestimmt nicht vorgenommen hat, diese Gedanken liegen ohne Zutun der Produzierenden auf der Hand.

Wann immer der Film diese traumartige Machart verlässt, wird er sofort langweilig. Zum Glück bleiben die Szenen, die der Handlung Logik verleihen wollen, nur rasch abgehakte Pflichtübung. Dann geht es weiter mit dem Bildgeflattere und der fast sprachlosen Hetzerei von links nach rechts und von schräg unten nach hinten vorne.

Regisseure wie Davide Lynch haben der dergleichen überlegter oder zumindest genialischer umgesetzt, indem sie routinierteres Handwerk (und Humor) auf allen Ebenen in den Dienst ihrer Verunklarung gestellt haben. Ein Film wie Raimis „Tanz der Teufel“ knallt den Albtraum mit kruden, aber wirkungsvolleren Tricks in die Magengrube des Publikums. Hier stolpert die ganze Filmcrew auf der Suche nach einem Schocker in Richtung Kunst, vielleicht wie ein Kind, das aus einer besonderen Laune und mit viel Zufall zu grellen Wachsmalern greift und etwas zusammenhaut, das in der Verachtung gängiger Kunstregeln auf Erwachsene besonders eindrücklich wirkt. Nicht schön, aber selten.

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