Wie der Wichtel Nurni-Freitag die Schätze des Magierkönigs an die armen Kinder verschenkte

Wie der Wichtel Nurni-Freitag die Schätze des Magierkönigs an die armen Kinder verschenkte

Wichtel sind Saisonarbeiter. Das bedeutet: Sie heuern wenige Wochen im Jahr beim Weihnachtsmann an. Dann sind sie im Außeneinsatz bei Kindern. Heutzutage bekommt jedes Kind Geschenke, egal, ob es sich gut benimmt oder nicht. Immer brav sein muss niemand mehr. Aber der Weihnachtsmann findet, die Wichtel sollen trotzdem in die Familien gucken, ob alles in Ordnung ist. Wenn nicht, gibt es erst recht Geschenke.

Außerdem helfen die Wichtel beim Packen der Rentierschlitten und beim Ausstaffieren mit Veganwurstbroten und Tee. Die Geschenke selbst hat der Weihnachtsmann mit Zauberei fertig bekommen. Da braucht er keine Hilfe. Und das Ausliefern macht er auch selbst. Wenn er unter Menschen geht, verkleidet er sich als alter Mann mit Bart und rotem Anzug. Aber die Wichtel sehen ihn, wie er wirklich ist: Ein Geist aus Schnee und Wind mit Augen wie glühende Kohlen und mit Hirschgeweih. Gruselig sieht er aus, aber böse ist er nicht. Immer ist ihm frostkalt, da sollen es alle anderen warm haben, findet er. Ob er dabei mit dem Christkind zusammenarbeitet, mit den Erzengeln, die der Prophet Mohammed gesehen hat, oder mit einer Limonadenfirma, das ist ihm schnurz.

Und was machen die Wichtel, wenn die Weihnachtssaison vorbei ist? Sie schlüpfen durch die Tore zwischen den Pilzen und in den Ecken hinter den Müllcontainern. Dahinter liegen andere Zeiten und Welten. Und da gehen sie auf Abenteuer. Zauberer und Krieger haben gerne einen Wichtel dabei. Weil Wichtel flink und beinahe unsichtbar sind. So ein Sommerjob als Aushilfsabenteurer hatte auch der Wichtel Nurni-Freitag.

Hinter dem Kühlschrank, wo es brummt und nach altem Eis riecht, befand sich ein Loch in der Tapete. Es führte zu einem Tunnel. In dem Tunnel hausten ein paar Ratten, die am Kühlschrank kein Interesse hatten, weil sie alles per Internet bestellten. Das Geld dafür klauten sie der Familie mit dem Kühlschrank. Falls du dich schon mal gefragt hast, wo die zwei Euro geblieben sind, die du gestern noch in deiner Tasche hattest – jetzt weißt du es. Vorbei an diesen Ratten ging es durch abgestandenes Wasser und rosa Nebel, die schon zu einer anderen Welt gehörten. Der Tunnel endete in einem verlassenen Mauseloch in der Schänke „Zum goldenen Karpfen“ in der Stadt Oswing. Oswing im Land Oswing.

Früher hatte es nur die Stadt gegeben. Dann war alles immer größer geworden, bis es ein Land war. Der Name war geblieben. Im Goldenen Karpfen hockten der Zauberer Windwirbel und sein Freund, Finian Flinkefuß. Finian war Experte für alles und nichts. Ein Dieb also. Die beiden wollten in der Nacht des schwarzen Mondes, wenn das Meer vor der Stadt sich zurückzog, zum Palast des Magierkönigs. Der Magierkönig war schon viele tausend Jahre tot. Der Palast lag am Meeresgrund, und war inzwischen ganz von Muscheln und Korallen überzogen. Aber wenn der schwarze Mond am Himmel stand, tauchte er auf. Und dann schlichen sich Abenteuer wie Windwirbel und Finian Flinkefuß hinein. Auf der Suche nach Zauberschätzen von damals.

Du meinst, dann müsste doch langsam alles weggeräubert sein? Dann muss ich dir leider sagen, dass die meisten Abenteurer aus dem Palast nicht zurückkamen. Er war voller Fallen, Geister und Monster. Und der Magierkönig sollte dort unten irgendwo in seinem Grab liegen. Und du weißt ja sicherlich, dass Magierkönige in ihrem Grab immer nur schlafen und niemals wirklich tot sind. Man konnte also Ärger mit diesem König bekommen.

Windwirbel und Finian Flinkefuß waren hocherfreut, Nurni-Freitag zu sehen. Ein Wichtel hatte ihnen gerade noch gefehlt. Sie wollten ihn vorschicken, zum Spionieren, Lauschen und Bescheidwissen. Dafür sollte er den zehnten Teil der gesamten Beute bekommen. Was ist der zehnte Teil von hundert Goldmünzen? Sag schnell! Richtig. Und der zehnte Teil eines alten Zauberbuches mit tausend Seiten oder eines Tarnmantels mit drei Anwendungen? Genau. Damit war Nurni-Freitag zufrieden.

Im Abendsonnenschein zogen sie los, hinaus ins Watt. Der Wind strich durch die Dünen und der Strandhafer wisperte. Kleine Wellen kräuselten die schwarzen Teiche im bleichen Sand. Windwirbel warf einen langen, dürren Schatten. Finian Flinkefuß einen kleinen, dicken. Und Nurni-Freitag überhaupt keinen, denn Wichtel wurden nicht gesehen, wenn sie nicht wollten, nicht einmal von der untergehenden Sonne.

„Wahrlich“, sagte Windwirbel, „haltet ein.“ Das bedeutete, sie sollten anhalten. Und das taten sie. Windwirbel deutete mit einem dürren Finger über das Watt. Im letzten Licht war ein Trupp gerüsteter Gestalten zu erkennen, ein paar hundert Meter entfernt. Sie gingen gebeugt gegen den Wind und sie trugen Speere, Schwerter und eine Rammbock.

„Abenteurer“, flüsterte Finian Flinkefuß, und rieb sich die Hände. „Die lassen wir vorgehen. Wenn sie für uns die Türen aufgemacht und die Fallen ausgelöst haben und von den Geistern gefressen wurden, dann haben wir freie Bahn.“

„Ein guter Plan“, nickte Windwirbel. „Sollen sie ruhig vor uns ankommen. Wir lachen zuletzt. Und wer zuletzt lacht, lacht am Besten.“ Finian Flinkefuß kicherte. Nurni-Freitag dachte sich seinen Teil. Und was dachte er? Nicht sehr nett, meine Reisegefährten, dachte er. Mal sehen, ob ich bis zum Ende dieser Sache bei ihnen bleibe. Aber er dachte auch an seinen zehnten Teil. Und außerdem war er neugierig, und wollte wissen, wie es ausging. Also nickte er und kam weiter mit.

Der Palast leuchtete violett und grün im Licht des schwarzen Mondes. Es stank nach Muscheln und nassem Hund. Am Himmel war Nacht und die Sterne waren klein und scharf wie Nadelstiche am Firmament.

Das Tor gähnte wie ein Maul. Ein Torflügel stand offen. Aus dem Inneren des Palastes drangen Schreie und Kampfeslärm. Windwirbel rieb sich die dürren Hände. „Zeit, für unseren Wichtel, mal nachzusehen“, raunte er. „Gib uns Bescheid, wenn sie alle tot sind“, meckerte Finian Flinkefuß.

Nurni-Freitag huschte durch das Tor und drückte sich gegen die Wand des großen Saals, die dahinter lag. In einem gewaltigen Kronleuchter flackerten Kerzen. Sie warfen grünliches Licht auf Gemälde, Ritterrüstungen, Teppiche und Schwerter an den Wänden. Alles verrostet, schimmelig oder mit Seepocken überzogen. Und drüber und dazwischen tanzten die Schatten der Abenteurer, die sich verzweifelt gegen Hexen zur Wehr setzten.

Es war nicht die Art von Hexen, die du vielleicht kennst. Hexen, die in Moos und Kräuter und hochhackige Schuhe gekleidet sind, Hexen mit langen Bärten und noch längeren Ketten aus Tierschädeln, Hexen, die dir weiterhelfen, wenn du Bauchschmerzen oder Liebeskummer hast. Diese Hexen waren die meiste Zeit tief unter dem Meer eingesperrt und hatten darüber vollkommen den Verstand verloren. Sie kreischten und tobten und zerkratzten die Rüstungen der Abenteurer mit ihren langen Fingernägeln und zauberten kreischend in der Gegend herum. Die Schatten der Abenteurer liefen über die Wände, und die Schatten der Hexen hetzten sie und packten sie an den Schattenkehlen und würgten sie, bis die Schatten der Abenteurer leblos auf den Teppich fielen.

Nurni-Freitag taten die Abenteurer leid, und ihm taten auch die Hexen leid, die bestimmt nicht so böse waren, wenn man ihnen die Chance gab, diesen stinkenden Palast zu verlassen. Darum sagte er ein kleines Wichtelwort, und da sanken die Schatten zu Boden, und auch die Abenteurer und mit ihnen die Hexen, und sie schliefen. Und alle träumten von dem, was sie sich am meisten wünschten, Gold, eine Familie, ein moosbedecktes Hexenhaus, eine freundliche Eule oder ein Sportwagen. Das war so ein Weihnachtszauber, der Nurni-Freitag immer gut zupass kam, wenn eine Familie in der Vorweihnachtszeit viel Streit hatte.

Er ging wieder hinaus zu Windwirbel und Finian Flinkefuß. Erledigt, sagte er. Alle ausgeschaltet. Und seine beiden Gefährten beglückwünschten ihn und schlugen ihm auf die Schulter, und versprachen, jetzt wollten sie ihm sogar den elften Teil geben, und nun sag schnell, ob er damit besser oder schlechter dran war. Ganz egal, wie deine Antwort ausfällt, ich kann dir schon verraten, dass Nurni-Freitag auf seinen Anteil inzwischen pfiff, denn er mochte seine Begleiter nicht sehr, und hatte sich was überlegt. Was, das erfährst du noch.

Für erste stiegen die drei über die schlafenden Hexen und Abenteurer, und Windwirbel und Finian Flinkefuß merkten vor Gier nach Schätzen gar nicht, dass niemand gestorben war. Sie meckerten und kicherten und Windwirbel beschwor einen kleinen Lichtgeist, eine langhaarige Person mit Laterne, deren Augen mit einem Tuch aus hauchdünnem Metall verbunden waren. Diesen Lichtgeist schickte er die große Treppe empor. An ihrem oberen Ende befand sich eine Tür. Wer sollte hin und nachschauen? Nunri-Freitag natürlich. Er hopste die Treppe hinauf und las, was auf der Tür geschrieben stand.

Die Runen waren die alten, lebendigen Zeichen aus der Zeit des Magierkönigs, und als sie Nurni-Freitag kommen sahen, schlängelten sie sich schnell umeinander, damit er sie nicht lesen konnte. Falls du in deinen Schulbüchern auch schon mal solche Schlängelbuchstaben gefunden hast, die dir einfach nicht sagen wollen, was sie bedeuten, dann sag deiner Lehrerin beim nächsten Mal, dass es sich vermutlich um Runen aus der Zeit des Magierkönigs handelt. Und wenn deine Lehrerin ihr Geld wert ist, wird sie denselben Trick anwenden, wie Nurni-Freitag es tat. Er zog eine kleine Peitsche aus der Brusttasche und knallte damit, dass die Runen vor Schreck still standen. HÜTE DICH, EINDRINGLING, las Nurni-Freitag. HINTER DIESER TÜR LIEGT DIE KAMMER DES RUBINSCHÄDELS. SEIN HAUCH IST GIFT UND SEINE AUGEN BLITZE. SEINE OHREN LIEBEN HONIGSÜẞE SCHMEICHELEI.

Nurni-Freitag kehrte zu seinen Gefährten zurück und schüttelte den Kopf. Ein verfluchter Schädel, sagte er. Das lassen wir lieber. Es gibt ja noch eine Treppe nach unten. Also schauten sie sich die Treppe nach unten an. Der Lichtgeist schwebte hinab und Nurni-Freitag ging nachsehen. Am Fuß der Treppe war wieder eine Tür. Diesmal ohne Runen. Nur mit einem schweren Schloss.

Das war ein Fall für einen Experten für alles und nichts, einen Dieb also. Finian Flinkefuß klappte seine Diebestasche auf und probierte Alraunenschlüssel und Elbendietriche aus. Das Schloss kicherte bloß. Hör auf! Sagte es. Du kitzelst mich ja zu Tode.

„Ich geb dir gleich Tod“, fauchte Finian Flinkefuß. Er war sauer. Schlösser knacken, dafür war er doch hier, und jetzt das. Er stocherte wie wild in dem Schloss herum. Das Schloss kringelte sich vor Lachen, aber es ging nicht auf.

Nurni-Freitag schlich sich an Finian Flinkefuß heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Finian Flinkefuß hielt inne, nickt ihm anerkennend zu und erzählte dem Schloss die traurigste Geschichte aller Zeiten. Ich kann diese Geschichte hier nicht wiedergeben. Sie ist zu traurig. Es war eine Geschichte, die Nurni-Freitag selbst erlebt hatte, während der Saisonarbeit in einer Familie rund um Weihnachten. Eigentlich ist das eine sehr schöne Zeit. Aber für manche Leute ist es die allertraurigste Zeit, wenn die ganze Welt voller Lichter ist und sich freut, und sie selbst haben keinen Grund zur Freude und es ist alles dunkel. Das Schloss schluchzte, ließ den Riegel los und lief davon, auf der Suche nach genau dieser Familie aus der Geschichte, damit es diese traurigen Leute mit seiner Schlosskraft ans Glück ketten konnte. Und wenn du Leute kennst, denen es nicht so gut geht, und du siehst sie rund um Weihnachten ein bisschen lächeln, dann werden es wohl genau diese Menschen gewesen sein, die das Schloss gefunden hat.

Hinter der Tür lag ein Gang. Der Gang führte abwärts, hinein in brackiges, kaltes Wasser. Windwirbel schickte den Lichtgeist voran und zauberte eine Luftblase um sie. Eingehüllt in die Luft arbeiteten sich die drei voran. Jenseits der Blase versickerte das Licht in schwarzem, eisigem Wasser, aus dem Schatten mit den Augen nach ihnen glotzten. Das Licht zog die Schatten an und ängstigte sie zugleich, sodass sie näher kamen und sich entfernten. Nurni-Freitag war froh, als sie auf der anderen Seite angetaucht kamen.

Hier erstreckte sich ein sehr langer Gang. Die Decke war niedrig, sodass Windwirbel und Finian Flinkefuß geduckt laufen mussten. Nurni-Freitag konnte einfach voranhüpfen. Von der sehr niedrigen Decke tropfte dem Zauberer und dem Dieb Tropfen in den Nacken. Du weißt, wie unangenehm das ist. Hinter der Biegung ging der Gang weiter. Sie liefen, bis ihnen die Füße wehtaten und bis Windwirbel und Finian Flinkefuß einen ganz nassen Rücken hatten. Aber der Gang ging weiter und weiter.

„Hört das denn niemals auf?“, ärgerte sich Finian Flinkefuß. „Ich werde hier gleich zu Finian Lahmfuß, wenn dieser Gang kein Ende nimmt.“

Windwirbel reckte die Arme, um einen Zauber zu sprechen, stieß sich aber so heftig die Fingerspitzen an der Decke, dass er sich vor Schmerz verzauberte. Jetzt bestand der Gang aus Lebkuchenteig, was alles nur noch schwieriger machte, denn nun mussten Finian Flinkefuß und der Zauberer bei jedem gebeugten Schritt mit Tropfen im Nacken auch noch die Stiefel aus dem Teig ziehen. Es hörte sich an, als würden sie in einer Badewanne voller Schnecken laufen. Sie fluchten und schimpften und kriegten sich in die Haare, und dann schimpften sie auf Nurni-Freitag, weil sie fanden, es wäre besser, dass er an allem Schuld war, statt ihnen selbst, wie es in Wahrheit war. Du weißt, wie ungerecht es ist, wenn man an allem schuld sein soll, obwohl man nichts gemacht hat. Oder sogar das Richtige!

Nurni-Freitag hatte die Nase voll und beschloss zu gehen. Er ging rückwärts, um die beiden Schatzsucher nicht aus den Augen zu lassen, denn er fürchtete, sie könnten ihm einen Dolch in die Mütze stecken – und er liebte seine Mütze.

Wie er aber so rückwärts lief, sah er, dass sich am Ende des Gangs eine Pforte befand. Er drehte sich um – die Pforte war weg. Er ging wieder rückwärts – die Pforte tauchte aufs Neue auf. Du fragst dich vielleicht, wo diese Pforte plötzlich herkam. Das erzählen wir gleich. Ich sage aber erstmal, warum ich hier von einer „Pforte“ spreche und nicht von einer Tür. Sie bestand aus zwei Flügeln und war riesengroß, viel zu groß für den Gang, und sie war aus schimmerndem Kristall gemacht. Der Kristall leuchtete von innen heraus. So eine Tür ist durchaus eine Pforte.

Und warum war sie da? „Leute“, sagte Nurni-Freitag, „hört mal auf zu streiten. Wenn man rückwärts durch den Gang geht, dann sieht man den Ausgang. Es ist eine Pforte.“

„Wenn wir uns umdrehen“, sagte Finian Flinkefuß misstrauisch, „dann wirst du mir dein Wichtelmesser in den Umhang stecken. Und ich liebe meinen Umhang.“

„Oder in meine Magierrobe“, sagte Windwirbel. „Und ich liebe meine Robe.“

Nurni-Freitag verdrehte die Augen. „Ich habe gar kein Wichtelmesser“, sagte er. „Ich habe lediglich eine Nussknacker. Das traditionelle Wichtelwerkzeug. Und es könnte sich ja einer von euch umdrehen, während mich der andere im Auge behält.“

Das war eine gewitzte Idee, allerdings misstrauten sich der Zauberer und der Dieb auch gegenseitig, sodass keiner von beiden sich zuerst umdrehen wollte, aus Angst, der Reisegefährte könne ihm dann einen Dolch in den Umhang oder in den Hut stecken. Schließlich beschwor Wirbelwind einen kleineren Katzendämon, der für ihn nach der Pforte schaute. Der Dämon bestätigte, dass da tatsächlich eine Pforte war. Erst dann drehten sich alle beide um, und guckten mit Nurni-Freitag gemeinsam auf die Pforte.

„Ich knacke die“, sagte Finian Flinkefuß. Schon machte er sich mit seinem Diebeswerkzeug an der Pforte zu schaffen. Es britzelte und blitzte, und dann stand Finian Flinkefuß mit geschwärztem Gesicht und abstehenden Haaren da. Du weißt, wie unangenehm eine Elektrofalle in einem tropfnassen Gang ist.

„Lass mich mal“, sagte Windwirbel und knackte mit den Fingerknöcheln der Hand, die er in seiner Tasche trug. Es war eine Trollhand, und als solche hatte sie irrsinnig lange Fingernägel. Windwirbel flüsterte der Hand etwas zu, dann trippelte sie los, hangelte sich zum Schloss der Pforte und fummelte mit den lange Nägeln darin herum. Das Schloss öffnete sich wie ein Maul und verschlang die Trollhand. „Hilfe“, sagte die Hand, und war weg.

„Mist“, sagte Windwirbel. „Wir müssen umkehren.“

„Mist“, sagte Finian Flinkefuß. „Ganz ohne Schätze.“

Nurni-Freitag ging zur Tür und klopfte dagegen. Erst hörte man nichts. Dann kam eine dumpfe Stimme aus dem Inneren. „Geht weg!“

„Wir sind herumreisende Abenteurer und möchten hier Schätze erbeuten“, sagte Nurni-Freitag höflich. „Würden Sie vielleicht aufmachen?“

„Nein“, sagte die Stimme. „Ich war nicht tausend Jahre lang Magierkönig, um jetzt meine Schätze umsonst herauszugeben.“

„Aber Sie sind doch lange tot“, wandte Nurni-Freitag ein. „Sie brauchen doch die Schätze gar nicht mehr.“

„Ich habe sie auch nicht gebraucht, als ich noch lebendig war“, brummte die Stimme hinter der Pforte. „Trotzdem. Ich mag sie einfach.“

„Wir zaubern ihn in Grund und Boden“, raunte Windwirbel.

„Wir quetschen uns unter der Türritze durch und stecken ihm einen Dolch in seine Krone“, flüsterte Finian Flinkefuß.

Nurni-Freitag sagte laut: „Wir könnten Ihnen auch ein schönes Lied singen.“

Die Stimme schwieg. Dann räusperte sie sich. „Was denn für ein Lied?“

„Ein Weihnachtslied“, sagte Nurni-Freitag.

„Weihnachtslieder habe ich schon seit dreitausend Jahren nicht mehr gehört“, sagte die Stimme. Sie klang so weich und wohlig wie das Licht von Kerzen am Tannenbaum.

„Dann wird’s ja mal Zeit“, sagte Nurni-Freitag. Und als Wichtel konnte er so mitreißend singen, dass alle mit einstimmten, Windwirbel, Finian Flinkefuß, der Katzendämon und sogar die Steine, aus denen der niedrige Gang gemauert war. Du kennst das Lied bestimmt. Es ging so:

Lasst uns Gräberdiebe sein

Steigen in die Gräber rein

Gierig, gierig und mit Zauberei

Sind wir abenteuerlich dabei

Sind wir abenteuerlich dabei

Fallen, Monster und ein Schatz am End

So hat keiner Weihnachten verpennt

Gold und Waffen und ein Zauberding

Liegen in der Grabeskammer drin

Liegen in der Grabeskammer drin

Mit den Schätzen in dem Beutesack

Haben wir uns dann davongemacht

Sitzen frohegemut zuhaus im Turm

Christkind brät uns einen Lindenwurm

Christkind brät uns einen Lindenwurm

Du meinst, das Lied geht anders? Dann muss ich dir sagen, dass du in der Abenteurerschule leider geschlafen hast, und dringend nacharbeiten solltest. Es geht ganz bestimmt genau so, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Ork.

„So schön!“ Die Stimme hinter der Pforte schluchzte vor Rührung. Knarzend öffnete sich die Pforte einen Spaltbreit. Eine lange, dürre, behaarte Klaue streckte einen Sack heraus. „Bitte. Und fröhliche Weihnachten.“ Die Pforte schloss sich wieder.

Finian Flinkefuß und Windwirbel stürzten sich auf den Sack und zerrten daran herum, während jeder versuchte, der Erste zu sein.

„Ein Vulkanglasdolch mit Giftkanal!“, freute sich der Dieb.

„Ein Zauberbuch aus der versunkenen Stadt Buxtehude!“, jubelte der Zauberer.

Und nun tat Nurni-Freitag etwas, das Wichtel nur in absoluten Ausnahmefällen tun. Sie tun es niemals bei Kindern, sondern ausschließlich bei Erwachsenen, die sich schlecht benehmen. Und Nurni-Freitag fand, dass diese beiden Erwachsenen sich ausgesprochen schlecht benommen hatten. Er setzte seinen Wichtelnussknacker an und drückte. Du kannst dir sicherlich ein oder zwei Körperstellen vorstellen, an denen so ein Wichtelnussknacker ganz besonders wehtut, und ich kann dir versichern, dass Nurni-Freitag als Profiwichtel genau diese beiden Stellen bei Finian Flinkefuß und Windwirbel bearbeitete. Er bearbeitete sie nicht zu sehr, denn er glaubte von Berufs wegen an das Gute in jeder Kreatur, und setzte die Schmerzen gewissermaßen nur als Starthilfe ein, damit das Gute aus Finian Flinkefuß und Windiwirbel hervorsprang. Das Gute sprang so heftig, dass dem Dieb und dem Zauberer die Augen aus dem Kopf quollen.

„Ihr seid zwei recht bösartige und gierige Abenteurer“, sagte Nurni-Freitag.

„Ja“, jammerten die beiden. „Oh ja, das sind wir.“

„Trotzdem wäre ich bereit, euch nicht mitten entzwei zu quetschen“, fuhr der Wichtel fort.

„Oh, das ist sehr großzügig“, wimmerten die beiden Halunken mit quietischigen Mäusestimmchen.

„Wenn ihr den Inhalt dieses bösen Beutels zu Weihnachten an arme Kinder verschenkt, deren Eltern sich keine Gaben leisten können.“

Die zwei Abenteurer bettelten und flehten, aber es half nichts: Sie mussten schwören, die Beute aus dem Grab des Magierkönigs zu verschenken. Und weil man den Schwur, den man einem Wichtel geleistet hat, unbedingt einhalten muss, blieb ihnen zum nächsten Fest nichts anderes übrig.

Und Nurni-Freitag kehrte zufrieden heim und schlief hinter dem Kühlschrank, bis zum ersten Advent.

Wie? Du möchtest wissen, wer die glücklichen Kinder waren, die die Beute aus dem Grab des Magierkönigs bekamen? Nun, bald ist Weihnachten, und ich will nicht zuviel verraten. Irgendjemand wird sich über einen neuen Vulkanglasdolch mit Giftkanal freuen. Ein braves Kind wird ein Zauberbuch aus der versunkenen Stadt Buxtehude unter dem Baum finden. Und das jüngste Kind wird einen kleinen Katzendämon bekommen, den es abends mit ins Bett nehmen darf. Ich sage nicht, dass du eins von diesen Kindern sein wirst. Aber ich sage auch nicht, dass du es nicht bist. Nur eins ist sicher: Den Wichtelnussknacker, den behält Nurni-Freitag selbst. Ich bin mir sicher, ein Kind wie du wüsste auch gar nichts damit anzufangen.

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