Was tun, Genosse Meyer?

Was tun, Genosse Meyer?

Der Autor Clemens Meyer hat sich öffentlich darüber geärgert, dass er den Deutschen Buchpreis nicht erhalten hat. Zunächst war davon die Rede, er habe in seinen Roman jahrelange Arbeit investiert und auf gut tausend Seiten eine Vielzahl rechercheintensiver Themen behandelt. Diese Leistung hätte gerechterweise mit dem Preis gewürdigt werden müssen, da die anderen zur Wahl stehenden Bücher – das scheint Meyer selbst so nicht gesagt zu haben, aber Zeitungsartikel taten es – diese Tiefe und Fülle nicht besäßen. Einige Tage darauf erklärte Meyer zudem, er brauche Geld für eine Scheidung und Steuerschulden, das Preisgeld sei für ihn wichtig gewesen.

Zufällig, aber nicht ohne Zusammenhang, erscheint dieser Tage eine Studie, aus der hervorgeht, was insgeheim alle wissen, dass nämlich nur ein verschwindend geringer Teil der Menschen in Deutschland, die als Autor*innen tätig sind, von dieser Arbeit auch leben können. Der weitaus größte Teil lebt prekär und/oder schreibt unter Bedingungen, die das Finanzamt veranlassen, ihre Tätigkeit als Liebhaberei abzukanzeln. Es kommt so wenig dabei rum, dass nicht einmal der Staat Lust verspürt, sich daran zu bereichern.

Zwei Ebenen des Lebens mit dem Schreiben, die miteinander verschränkt sind. Das Selbstbild, der Anteil dessen, was mich ausmacht, der in die Kunst fließt, und der mich so gekränkt reagieren lässt, wenn die Wertschätzung ausbleibt, ja, der mich nie satt werden lässt, egal, wie viel Wertschätzung ich real erfahre (Meyer hat nicht wenige, auch mit beachtlichen Summen dotierte Preise gewonnen, seine Werke werden verfilmt und international übersetzt). Dazu das beinharte Geld. Beides kommt nicht überein.

Bei Autor*innen wie Leser*innen herrscht eine romantisierte Vorstellung dieses Berufs vor, der überhaupt kein Beruf ist, sondern die Simulation eines solchen zwecks Aufrechterhaltung des Selbstbildes aufseiten der Schreibenden und Lesenden und des auch schon quietschenden Betriebs bei Verlagen und der angehängten Industrie.

Die romantisierte Vorstellung: Spät aufstehen, ausführlich frühstücken, bisschen Kokain, dann zwo Stündchen schreiben, im Anschluss Sinnkrise, Besuch einiger Musen, Orgie, mehr Kokain, melancholischer Spaziergang, Party im Berghain, Erkundung einiger neu erfundener Sexpraktiken, Opiumpfeifchen als Absacker ins Bett, am nächsten Tag Aufbruch in die Toskana oder roter Teppich vor der Buchmesse.

Die Realität lässt sich weniger geordnet beschreiben. Es ist irgendwas mit müde rausquälen, weil gestern nach noch Zeit war, blicklos in den Computer zu starren, hungrigen Kindern, vergessenen Brotdosen, ausfallenden Bussen, Jobs in Krankenhäusern, Schulen, IT-Klitschen, Handwerksbetrieben, Hausmeistereien oder Geldranschaffung für irgendwelche antragsgebundenen Organisationen und wieder keine Zeit für die Covid-Impfung. Es ist auch bei nicht wenigen Kolleg*innen eine Geschichte chronischer körperlicher und psychischer Erkrankungen, Süchte, ganz ohne Romantik, dafür mit Elend.

Falsches Selbstbild und falsche Einrichtung der Produktionsverhältnisse führen zu einer Arbeitswelt, die in jedem nicht-künstlerischen Feld zu Recht als „toxisch“ gebrandmarkt würden.

Was tun, Genosse Meyer?

Entromantisierung des Betriebs, Re-Romantisierung des Betriebs.

Organisation. Wer seine Arbeitskraft verkaufen muss, sollte sich zusammentun, damit die Haut was abwirft.

Öffentlichkeit. Im Kleinen und als Organisation sagen, wie der Alltag von Autor*innen wirklich aussieht.

Überprüfung des Selbstbildes, allein und in der Gruppe. Welche Ansprüche habe ich an mich und an meine Tätigkeit? Was ist normal, realistisch? Was glaube ich, erreichen zu müssen, was muss ich, muss ich überhaupt was? Darüber reden, mit anderen. Zweifel, Misserfolge, das Scheitern zu Wort kommen lassen, als Normalität. Erfolge feiern.

Den Brotjob als Normalität. Darüber sprechen, wie sich dieser Job und das Schreiben bedingen, umgeben, befruchten, verunmöglichen. Das ist ein Teil der Arbeit und der Literatur.

Re-Romantisierung:

Es ist kein Job. Er muss kein Geld bringen. Das ist eine Chance. Was darf ich machen, wenn nichts davon abhängt?

Eigene Öffentlichkeiten. Wenn ich nicht mehr von den Preisgerichten und Kommissionen tanzen muss, wo kann ich mit anderen zusammenkommen, denen was an mir und meiner Arbeit liegt. Welche Formen der Entlohnung kann ich hier finden?

Von Angesicht zu Angesicht. Vergesst die dumm machenden Schwätzerplattformen, wo wir mit unseren Werbeschildchen um den Hals noch die Plattformbetreibenden reicher machen. Technikfeindlich muss es nicht zugehen, aber dann Techniken, die wir in der Hand haben und betreiben.

Ein Herr im Publikum ruft dazwischen: „Amateurhaftigkeit! Selbstverzwergung! Literatur, die keine Muße mehr hat, kommt vom Alltag nicht weg!“

Ich lache den Herren aus. Wir sind längst alle Amateure und Zwerge. Wir dürfen es einfach zugeben. Lietratur, die vom Alltag nicht wegkommt, darf von ihm erzählen, ihn verzaubern und genüsslich kaputtschreiben.

Kollaboration statt Einzelkämpfer*innentum. Alleine und autonom sein ist etwas, das ich genieße und brauche. Wo stößt das an seine Grenzen? Wie kann ich mit anderen zusammen arbeiten und Texte genießen, wenn ich auch das Alleinewurschteln brauche? Vielleicht kann ich mit anderen schreiben, aber wenn das nicht geht?

Und vor diesem Hintergrund: Die Gefühle, die Enttäuschung. Clemens Meyers Enttäuschung, Wut und Angst vor den Schulden kann jede verstehen, die in diesem Metier tätig ist. Aber was wäre eine gute Reaktion? Das jemand anders vorzuschreiben ist vermessen. Ich hoffe, dass ich in ähnlicher Lage darüber sprechen könnte, dass ich maßlos enttäuscht bin, wie verletzt ich bin und wie dringend ich die Scheißkohle brauche. Wegkommen vom Spott über das, okay, doch recht männermäßige Auftreten des Kollegen Meyer, hin zur Solidarisierung, die auch ein solidarischer Klaps auf den Hinterkopf sein kann.

Hier nicht behandelt: Die etwas irrwitzige Vorstellung, Literatur sei eine Art Leistungssport mit exakten Bemessungskriterien, die ein Buch preiswürdiger machten als ein anderes, und die ohne Zweifel mit Geschlechterstereotypen operierende Kritik, das weltsatte Buch eines Mannes müsse ja wohl mehr zählen als das einer Frau, das nur so ein Beziehungsbüchlein ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.