Das Planetenschloss 23

Das Planetenschloss 23

Die nackte Klinge berührte Lori an der Schulter. Seondeok sprang vor, doch Herr Terramar hielt sie zurück. „Das ist kein Angriff. Lori wird geheilt. Oder zumindest die menschliche Hülle, die wir als Lori kennen.“

„Hülle? Ich verstehe nicht. Meine Scans …“

„Deine Sinne erfassen das Wort nicht, Maschinenwesen. Und selbst die Kräfte deines Herren helfen ihm nur unzureichend zu begreifen, was ihr vor euch habt.“ Der Dreiäugige löste die Klinge von Loris Schulter und hob sie grüßend vor das Gesicht. Lori stand auf und hob den Kopf. Das Kind schaute sich nach Terramar und der Mecha um. „Die Dreiecke … ich bin gestürzt. Und dann war alles dunkel. Wo sind wir hier?“ Lori wandte sich dem Schläfer auf dem Thron zu. „Ich habe geträumt … und Dinge gesehen. Ich glaube, das war die Vergangenheit. Aber eine Vergangenheit, die ich nie erlebt habe. Kennen wir uns?“

Herr Terramar trat vor und legte Lori die Hand auf die Schulter. „Ja, mein Kind. Ihr kennt euch von Alters her. Mein dunkler Verdacht ist hier bestätigt worden. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, in Ka’naa auf der Flucht vor den Kabuki, wusste ich, dass du ein Wirbel in der Signatur des Kwan bist. Deshalb habe ich dich gekauft und Seondeok mit dem Blut deines Vogels gespeist. Ich ahnte nur, was du sein könntest, aber ich war begierig, mit dir an meiner Seite den Angriff auf das Schloss zu wagen.“

„Das war dumm.“ Der Dreiäugige senkte die Klinge und neigte den Kopf, als lausche er in die Nacht. „Ich habe lange geschlafen. Ein Schatten dieses Schlosses drang dunkel in meine Träume. Und jetzt spüre ich, dass der Herr dieses Gebäudes mir an Macht überlegen ist. Ein böser Zauber liegt auf den Mauern am Rande dieser Welt. Ein Zauber, der etwas gefangen hält. Ich empfinde den Hilfeschrei aus seinen Tiefen mehr, als dass ich ihn höre. Es gibt nur eins, das derart zu mir rufen kann. Loris Geschwister. Das Wort des Todes.“

„Mein Geschwister?“ Lori schien den Tränen nahe. „Wer bist du überhaupt? Woher kennen wir uns? Und wie soll ich ein Geschwister haben? Meine Dada …“

„Kind“, sagte der Dreuäugige sanft. Er streckte die langfingrige Hand aus, um Loris Gesicht zu berühren. Das Kind wich zurück und schüttelte auch die Hand des Ritters ab. Der Erwachte seufzte. „Du bist kein Kind — oder jedenfalls ist das, was an dir Kind ist, leidglich eine Hülle für deine wahre Natur. Als Kind wurdest du vor langer Zeit von uns erschaffen, den Alten und ersten Gästen auf dieser Welt, die heute eine öde Wüste ist und einst ein Paradiesgarten war.“ Er hielt inne und schaute sich auf dem Dach der Pyramide um, wo der Wald im Sternenlicht grün und violett schimmerte. „Wir arbeiteten mit der Essenz des Kwan, den sechs heiligen Worten des Erschaffens und Vergehens. In den Kriegen, die uns erschütterten, gingen vier dieser Worte verloren, vielleicht für immer. Du aber, das Wort des Lebens, bliebst erhalten. Diejenigen unter uns, die dem Bösen anheim fielen, brachten das Wort der Zerstörung an sich, und trachteten auch nach dir, um als Herren über Werden und Vergehen das Universum nicht mehr zu hüten, wie es seit Urzeiten unsere Aufgabe war, sondern es zu zerstören und nach ihrem Bilde wieder zu erreichten. Was du vor deinem inneren Auge gesehen hast, war das Echo dieser Tage, als ich dich an genau diesem Ort in den Stoff dieser Welt kleidete und dich fortschickte, um dich im Staub der Tage vor den Augen der Gefallenen zu verbergen.“

„Ich bin kein Mensch?“, flüsterte Lori. „Aber was bin ich dann?“

„Du bist ein Mensch“, schaltete sich Herr Terramar ein. „Ein Kind, mit allem, was ein Kind ausmacht. Doch zugleich ist das Kindliche an dir nicht mehr als Hülle und Maske. Was dich ausmacht, ruht tief in dir. Ein Baustein des Universums. Oder besser gesagt: Ein Teil der Kräfte, die diese Bausteine überhaupt erst erschafft und zusammen hält.“

„Das verstehe ich nicht.“ Lori blickte von einem zum anderen. Seondeok ächzte und legte Lori quietschend die Pranke auf den Rücken. „Ich glaube, ich ahne, wie du dich fühlst“, sagte sie blechern. „Auch ich wurde erschaffen und zusammengesetzt aus verschiedenen Naturen. Auch ich bin mehr und weniger, als ich spüre, wenn ich meine eigenen Gedanken beobachte.“ Lori tastete nach dem Metallarm der Mecha.

„Der Herr des Schlosses, von dem du sprachst.“ Herr Terramar warf einen Blick über die Schulter. „Mein Orden hat ihn lange gesucht und dass ich ihn nun ausgerechnet hier finde, ist vielleicht kein Zufall. Ist er derjenige, den man den rubinroten Magier nennt, den Träger der Zahl und den Reiter des Strahls? Er gehörte einst den Kwan-Rittern an, bevor er sich dem gleißenden Licht zuwandte. Ist er jetzt hier, am Rand dieser Welt?“

Der Dreiäugige schüttelte den Kopf. „Diese Namen sagen mir nichts. Er ist keiner von uns Alten, so viel vermag ich zu sagen, wenngleich er seine Heimstatt und seine Wehr nicht ohne Kenntnis unserer Geheimnisse hätte errichten können. Wer das Wort der Vernichtung gefangen hält, verfügt über Kräfte, die die meinen übersteigen, Durch euren übereilten Angriff wird er nun ahnen, dass ein weitere Wort auf dieser Welt umgeht, das lange vor ih verboren war. Ihr solltet euch nach Hilfe umsehen. In den Tiefen dieser Pyramide liegt Wissen verboren, doch geht hier auch der Engel um ,den ich bewache, und der …“ Der Kopf des Dreiäuigen ruckte nach oben. „Er ist hier. Ihr habt ihn befreit. Unwissentlich zwar, doch seine Gefägnismauern sind durchbrochen. Er ist euch gefolgt.“

Ein Schatten schob sich vor die Sterne. Schwingen schleuderten eisigen Wind zwischen die Farne des Gartens, die sich duckten und aneinander festklammerten. Der Erwachte reckte sein schwarzes Schwert. „Maschinenfrau. Nimm die beiden anderen und steige in den Himmel. Ich sende dir Daten, die euch den Weg zur alten Stadt in den Wolken weisen. Den Engel halte ich auf, so lange ich kann.“

Lori wollte protestieren, doch Herr Terramar winkte Seondeok. „Wir können hier nichts tun. Ein freier Engel, gestärkt durch das Licht der Sterne und die Nachtfinsternis, ist kein Gegner für uns.“

Seondeok packte die anderen beiden und feuerte dröhnend ihre Düsen an.

Der Dreiäugige stieg durch die Nachtluft wie auf einer unsichtbaren Treppe in die Höhe. Ein Schrei ließ die Welt erzittern, so grell, dass das schwarze Glas der Nacht zu zerspringen drohte.

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