Wirtshaus zu Schwarzen Keiler und andere Hartwürste
Vor Kurzem hatte ich das Vergnügen, das DSA-Basismodul Nr. 1, das „Wirtshaus zum Schwarzen Keiler“ von Werner Fuchs zu leiten. Da dieses Abenteuer in der DSA-Community – wie fast alle Basis-Abenteuer – einen schlechten Ruf genießt, möchte ich die Gelegenheit nutzen, meine sehr positiven Erfahrungen damit weiterzugeben. Vielleicht lassen sich daraus auch einige Schlüsse für den Umgang mit den alten Abenteuern überhaupt ziehen.
Zunächst: was ist denn gut an diesem Modul? Was hat mit schon beim Lesen gefallen?
Da ist zunächst ganz grundsätzlich die Atmosphäre und der Abenteuerort. Ein Wirtshaus, ein kleine Stadt im Gebirge, ein wahnsinniger Graf und ein Bergwerk voller Ungeheuer. Das ergibt ein Ambiente irgendwo zwischen „Wirtshaus im Spessart“ und einem Film-Meisterwerk wie „Die Schlangengrube und das Pendel“, also einem jener – hust, hust – presiwerten Gruselschocker die so gegen 23 Uhr im Fernsehen laufen und den müden Geist mit starken Bildern verzaubern, wenn auch die Handlung nicht so viel Sinn ergibt.
Zweitens hat Autor Werner Fuchs sich ein paar gute Gedanken gemacht, wie man ganz neue Spieler*innen – nicht nur Held*innen! — in so ein Abenteuerspiel zieht. Der Dreh des Moduls ist, dass die SC eben noch gar keine Abenteurer sind, sondern „frische Buben und Mädels“, die zum ersten Mal von zuhause weg sind. Der Vorlesetext zu Beginn des Moduls gibt das ganz zauberhaft wieder – Fuchs war eben nicht umsonst schon lange Agent und Übersetzer und konnte so was schreiben.
Spielmechanisch wird das dann so umgesetzt, dass die Spieler*innen zu Beginn gar keine SC auswürfeln, sondern erst nach dem Vorlesetext aus einer Tabelle zufällig Charaktere zugeteilt bekommen. Bei DSA1 sind das ja auch gerade mal fünf, sechs Zahlen und ein ulkiger Name. „Glimmerdick“ wurde bei uns ein schnorchelnd wiederholter Running-Gag. Hinzu kommt der sehr gute Vorschlag, das Abenteuer unter irdischem Zeitdruck zu spielen. Die SC haben so gut wie keine Ausrüstung und müssen die zahlreichen Monster des Bergwerks mit etwas gefundenem Werkzeug und ihrem Grips bekämpfen bzw. Gefahren klug umgehen. Wenn das keine Dungeon-Früh-Erziehung ist!
Das alles roch mir doch stark nach einem „Funnel“, wie man ihn von DCC kennt, also einem Stufe-0-Abenteuer, bei dem gar nicht alle SC überleben sollen. Nur wer durchkommt, wird vollwertiger SC.
Ich gab las also den Text vor und gab allen Mitspielenden gleich mehrere SC. Der Einstieg des Abenteuers wird allerorten kritisiert, weil die Gruppe zwangsläufig ohne Ausrüstung vom irren Grafen in den Keller geschmissen wird. Da wir es hier mit SC zu tun haben, die erst noch Abenteuer*innen werden sollen und überdies gar keine Ausrüstung besitzen, fand ich das okay. Wen so was wirklich stört, der kann halt gleich im Keller anfangen und den Beginn per Rückblende erzählen. Die ganze Spieler*innenfreiheit kann man kriegen, wenn die SC einfach gleich zur Gratenfelser Wiederstandsbewegung gehören und eine Eigenmotivation mitbringen, sich ins Bergwerk zu begeben.
Gratenfelser Widerstandsbewegung? Genau. Damit sind wir auch schon bei den Änderungen, dich ich durchgeführt habe.
Der irre Graf ist zwar cool, aber ich wollte einen interessanteren Antagonisten, der in späteren Abenteuern wieder auftauchen kann. Ich beschloss also, Murgol, den Magier der Macht, aus dem Wald ohne Wiederkehr, vorzuziehen. Er fungierte bei mit als Einflüsterer des ohnehin wahnsinnigen Grafen, also klassischer Schurke im Hintergrund.
Da ich bei dem ganzen Setting ohnehin an „Resident Evil“ denken musste, machte ich ihn gleich zur aventurischen Umbrella Corporation. Er lieferte dem Grafen ein Elixir, das Dorfbewohner*innen und naseweise Fremde in Monster verwandelt. Das erklärte elegant die bunte Monsterparade im Bergwerk und floss in die Idee mit dem Zeitdruck mit ein. Auch die SC hatten nämlich größtenteils von dem Elixir genascht, da die Schenkenbedienstete sie damit vergiftet hatte. Dies geschah normalerweise im Auftrag Murgols, der stets neue Grubenkräfte brauchte, um den kommenden Krieg zu finanzieren.
Ganz unfair wollte ich nicht sein: wer den üblen Geschmack bemerkte und geistesgegenwärtig erbrach oder wenigstens sehr viel trank, entging dem Gift. Die Kellnerin eröffnete den Spieler*innen, dass ihnen gute zwei Stunden blieben, um nicht ganz und gar zu zufällig bestimmten Nichtmenschen zu mutieren. Wenn sie im Auftrag des Gratenfelser Widerstandes durch das Bergwerk in die Burg eindrängen und dort eine Wagenladung Zwergenpulver in die Luft jagten, sollten sie das Gegenmittel erhalten. Warum hat der Widerstand das nicht selbst gemacht? Leider wurde der Maulwurf in der Burgwache, nämlich der Bruder der Kellnerin, just enttarnt, tja. Erhöhte den Zeitdruck nur noch mehr.
Die Spieler*innen würfelten, einer wurde zum Elf, zwei zu Echsenmenschen, einer blieb dank Giftabwehr Mensch. Hätten sie gewollt, wäre das am Ende des Abenteuers auch die Möglichkeit gewesen, in diese Charakterklasse zu wechseln. Außerdem pimpte diese die schmalen Ressourcen der Gruppe auf, konnten die Echsenmenschen doch ihre Nasen verschließen und tauchen, der Elf bekam einen zufällig bestimmten Zauberspruch aus dem Basis-Spiel usw. Etwa alle halbe Stunde Realzeit mutierten die SC etwas mehr, bekamen aber auch neue Möglichkeiten.
Im Bergwerk machte ich die Monster vor allem zu Wesen, mit denen man nötigenfalls reden konnte und stärkte die Fraktionen, indem ich sie mit Antipathien und Zielen versah. Im Wesentlichen ging es Orks gegen Echsenmenschen, ein Goblin spielte den Vermittler. Auch mit den gefangenen Zwerge hätten die Spieler*Innen gemeinsame Sache machen können. Zudem habe ich den Dungeon deutlich verkleinert, as written ist er groß und leer. Ich habe eine Schatztabelle mit Kuriositäten angelegt und mehrere Durchgänge zur verschiedenen Ebenen der Burg eingebaut, die wiederum zu verschiedenen strategischen Ausgangslagen dort geführt hätten.
Meine Spieler*innen umgingen vorbildlich fast alle Gefahren (verpassten so aber auch den Zwist zwischen den Echsen, die eine Riesenamöbe als Götze verehrten, und den Orks, die das Viech immer verspeisen wollten), und nahmen die Lore in den Keller der Burg. Dank Würfelglück krachten sie dort lebendig in das Gefängnis des Tatzelwurms und verbündeten sich mit diesem gegen Morgul.
Auf meinem Mist gewachsen war die Studierstube des bösen Zauberers, in dem die Gruppe den Schlüssel zum Wurmkäfig barg. Ein Krötenmonster machten sie rasch kalt, der Zauberer befand sich dank Wurf auf der Zufallstabelle gerade in seinem magischen Spiegel, den die Gruppe humorlos auf den Boden kippte, sodass er nicht mehr rauskonnte. Sie ließ den Wurm frei, zündete in dem entstehenden Chaos den Planwagen mit Zwergenpulver an und jagte die halbe Burg in die Luft. Graf tot, Murgol verschwunden, Wurm entlaufen.
Alle entschieden sich, Menschen sein zu wollen und das Abenteuer mit Stoerrebrand in Gareth fortzusetzen.
Was lernen wir daraus für so alte Schinken?
Nicht gleich meckern, erst mal gucken, was funktioniert.
Immer mit Spielpraxis im Hinterkopf lesen. Viele alte Module verkünden ihre Glanzpunkte ziemlich lapidar, ohne gesondert darauf hinzuweisen. Wenn man „nur liest“, bleibt man oft verwirrt und mit dem Eindruck zurück, das sei alles Blödsinn. Vieles klärt sich Umgang der Gruppe mit dem angebotenen Material.
Die Gegner und Monster nicht blöde als Punktehaufen spielen, sondern sie zu echten Personen/Wesen mit Absichten, Ressourcen und Routinen machen, mit denen die Spieler*innen flexibel interagieren können. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber wenn man sich mal Spielberichte naserümpfender Aventurienfreaks im Netz durchliest, scheint das ziemliches Geheimwissen zu sein…
Dungeons und Spielorte auf Potential prüfen und ggf. zusammenkürzen, verpointcrawlen, also auf die starken Szenen und Bilder eindampfen. Aber: nicht vorschnell das Messer ansetzen, vieles ergibt im Spiel dann doch Sinn, wie gesagt.
Insbesondere Oberschurken mit Motivation und Plänen versehen.
Für mich persönlich gilt auch: Weirdness- und Wunderlevel hochdrehen. Das kann man anders sehen, viele lieben ja gerade das Rootsige von DSA. Ich behelfe mir aber immer mit mindestens einer Schatztabelle, die allerhand Glitzerzeug und magischen Klimbim sowie zweckfreies Gruselzeug enthält. Die SC dürfen auch gerne in den Besitz vermeintlich „zu mächtiger“ Dinge kommen, sie stellen eh nur unterhaltsamen Blödsinn damit an, und das ist dann ja gut.
Den Vorteil nutzen, dass die „aventurische Stimmigkeit“ ganz weit aus dem Fenster fliegen darf. Mich interessiert das eh nicht, aber selbst für Redax-Spiel-Fans könnte es echt befreiend sein, dass auch in einem Stufe 1-Abenteuer einfach alles in die Luft fliegen darf und soll.
Zu guter Letzt: nicht für alles Lösungen anbieten wollen! Auf die Spieler*innen vertrauen. Denen wird schon was einfallen. Wenn man mit Leuten geschlagen ist, die, wie ich online las, im „Wald ohne Wiederkehr“ verrecken, weil sie einen Werwolf treffen und das AB keine magischen Waffen herumliegen lässt, okay, dann haben die aber auch selber Schuld.
Wenn man sich so ungefähr da durchhangelt, bieten die alten Abenteuer eine heute (in Aventurien) kaum noch gekannte Freiheit. Sie haben zugegebenermaßen eine Menge Risse und Brüche, aber Cracks sind, wie wir wissen, where the light gets in. Wenn etwas zunächst widersinnig zu sein scheint, ist es das vielleicht auch – Fuchs, Alpers und Kiesow mussten das Zeug damals ohne viel Bedenkzeit raushauen –, aber meistens lässt sich gerade aus den schrägen Sachen mit etwas Überlegung viel Schönes basteln.
Wir spielten an zwei Abenden insgesamt etwa vier Stunden. Es war ein großer Spaß, Top-Ebayer, gerne wieder. Weiter geht’s demnächst nach Gareth, wo der Zufallsfund eines Kinderskeletts dem Boron-Tempel übergeben werden soll. Habe ich vor dem Spielabend gewusst, was es mit dem Skelett auf sich hat? Oder dass der Spieler es mitnehmen würde? Natürlich nicht. Weiß ich jetzt, wem das Skelett gehört und warum es saugefährlich ist? Klar. Weiß ich, was damit als nächstes passiert? Auf keinen Fall. Dafür habe ich ja Spieler*innen.