Wie die kleine Jesus Christus Weihnachten erfand

Wie die kleine Jesus Christus Weihnachten erfand

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger.

„Ist es noch weit?“, fragte Maria.

„Nein“, sagte Joseph.

„Ist es noch weit?“, fragte Maria.

„Nein“, sagte Joseph.

„Guckt mal, ein Komet“, sagte der Esel in dem vergeblichen Bemühen, die Stimmung aufzulockern. Der Esel war eigentlich eine Eselin und konnte sprechen.

„Ist es noch …“, setzte Maria an, aber jetzt blieb Joseph stehen, und weil er das Zaumzeug der Eselin in der Hand hielt, blieb auch die stehen, und weil Maria auf der Eselin saß, musste auch sie anhalten.

„Also, wenn du mich noch ein einziges Mal fragst, ob es noch weit ist, dann schreie ich“, sagte Joseph. Die Eselin legte die Ohren zurück, weil sie diesen Tonfall schon kannte. Maria kannte Joseph noch nicht so lang wie die Eselin, und außerdem war sie müde, hungrig, schwanger und mit dem dumpfen Gefühl belastet, vielleicht einen großen Fehler in ihrem Leben gemacht zu haben.

„Na, dann schrei doch“, keifte sie, und merkte selber, wie schrill und nörgelig ihre Stimme klang, aber sie war zu sauer, um aus ihrem Schmollwinkel jetzt noch wieder rauszukommen. „Ist doch eh alles Mist. Was soll denn das überhaupt, dass ein jeder geschätzt wird. Ich meine, ist ja nett, dass der Kaiser uns schätzt, aber hätte er uns das nicht einen Brief mitteilen können? Liebe jüdische Untertanen, ich schätze es, dass ihr immer treu Steuern zahlt, nur euer komischer Gott geht mir auf den Keks?“ Maria hatte eine ausgeprägte politische Ader, die Joseph wahnsinnig auf den Wecker ging. Aber bevor er das auch noch brüllen konnte, berührte Maria schon den nächsten wunden Punkt. „Und warum schätzt er uns überhaupt, der Kaiser? Vielleicht weil du ein so toller Zimmermann bist?“

„Jetzt hack nicht schon wieder auf meinem Beruf rum!“ Joseph schüttelte den Wanderstab. „Als Zimmermann verdient man gutes Geld! Und überhaupt, wahrscheinlich schätzt uns der Kaiser, weil du so eine tolle …“

„Hrmhrm“, räusperte sich die Eselin, und bewahrt Joseph damit gerade noch davor, etwas sehr Hässliches über seine frisch angetraute Ehefrau zu sagen.

Der Grund für die Spannungen, die in dieser Nacht in der Luft lagen, war, dass es über das Zustandekommen von Marias Schwangerschaft unterschiedliche Ansichten gab. Sie und Joseph kannten sich seit ein paar Monaten und aus einer Tanzbodenromanze hatte sich irgendwann mehr entwickelt. Bald fanden sie heraus, dass sie gerne bestimmte Dinge miteinander machten, vor denen man sie eindringlich gewarnt hatte, weil Gott dagegen war, und jeden, der so etwas machte, mit Blindheit und Pestilenz schlug. Es sei denn, man war verheiratet, aber Heiraten kam sowohl Joseph als auch Maria wie ein ziemlich großer Schritt vor. Sie sagten sich, es müsse ja keiner wissen, und wenn man ansonsten alles tat, was Gott wollte, würde über diese Sache bestimmt großzügig hinwegsehen.

„Warte mal, warte mal“, hatte Joseph noch gesagt. „Davon wird man doch nicht schwanger, oder?“

Maria hatte irgendwas Unverständliches gemurmelt, von dem Joseph heute behauptete, es sei eindeutig ein „Nein, auf keinen Fall, wo denkst du denn hin?“ gewesen, während Maria sich auf den Standpunkt stellte, dass sie die Frage gar nicht gehört hatte, und dass es nur so ein Geräusch gewesen war, wie man es eben manchmal macht, wenn man mit etwas sehr Schönem schnell fertig werden muss, bevor Gott wieder hinguckt. Jedenfalls, Maria war doch schwanger geworden, und jetzt waren sie verheiratet, und Joseph fand, das sei alles ihre Schuld, und Maria fand das unfair, und die Eselin versuchte, gut Wetter zu machen, und insgesamt fühlte sich keiner so richtig wohl mit der Situation.

Während Maria und Joseph sich weiter stritten, verdrehte die Eselin die Augen, und da sah sie den Kometen wieder, und bei diesem Anblick kam ihr eine Idee.

„Hrmhrm“, räusperte sie sich erneut. „Also, Maria, vielleicht ist es an der Zeit, dass du die Karten mal auf den Tisch legst.“

„Bitte?“, sagte Maria.

„Na, dass du mit der Wahrheit über deinen Sohn rausrückst“, sagte die Eselin und rupfte ein Grasbüschel vom Straßenrand.

„Aha? Das ist ja interessant!“ Joseph stemmte die Hände in die Hüften. „Das würde mich ja mal brennend interessieren.“

„Die Geschichte mit dem Engel“, sagte die Eselin und kaute. „Ich weiß, er hat dir verboten, irgendjemandem davon zu erzählen, aber ich finde, Gott muss dafür Verständnis haben, dass deine Ehe vorgeht.“

„Red doch nicht so einen Quatsch!“ Maria war bleich geworden, aber das konnte auch an der Schwangerschaft liegen.

„Joseph“, sagte die Eselin an ihren Herren gewandt, „du musst jetzt sehr stark sein. Dein Sohn ist gar nicht von dir, er ist von Gott. Ein Engel kam zu Maria und hat den heiligen Geist in sie gesenkt. Sie ist schwanger von Gott und das Kind ist der Messias. Und das ist die Wahrheit!“

„Seinen heiligen Geist in sie? Ich hab´s doch gewusst, ich hab´s doch die ganze Zeit gewusst …“

„Sag mal, spinnt ihr jetzt total? Das Kind ist von dir, Joseph. Ich kann dir auch genau sagen, wie das passiert ist, falls du dich nicht erinnerst.“

„Du hast gesagt, davon wirst du nicht schwanger!“

„Ach, das hab ich nie gesagt, und außerdem hast du in dem Moment nur gehört, was du hören wolltest!“

Und schon waren die beiden wieder mitten im Streit.

„Es wäre doch aber sicher auch eine große Ehre, ein Kind von Gott zu haben“, warf die Eselin schließlich ein. „Sicherlich hundert Mal besser als irgendein ungewolltes Kind, wegen dem man sich den Rest des Lebens unglücklich fühlen muss. Ihr könntet allen stolz davon erzählen. Sicher würden die Menschen von weit herkommen, um Gottes Sohn zu sehen.“

Joseph und Maria verstummten.

„Da ist was Wahres dran“, sagte Joseph langsam. „Vor drei Jahren gab´s schon mal einen Messias, dem haben die Leute Wein und Öl gebracht. Als Kind hab ich auch schon mal einen gesehen, der ging dann später mit meinem Bruder David zur Schule. Man verdient nicht schlecht als Messiasanwärter, das stimmt schon.“

„Es wäre auch politisch bedeutsam“, sinnierte Maria. „den Römern gefällt das bestimmt nicht. Nein, nein“, schüttelte sie den Kopf. „Am Ende ruft das Kind noch zum Krieg auf und wir sind dann schuld und werden allesamt gekreuzigt. Nein, ich glaube, da war doch kein Engel.“

„Und überhaupt“, meldete sich Joseph zu Wort, „wie stehe ich denn da, wenn das Kind nicht von mir ist. Engel hin oder her, aber hinter meinem Rücken werden die Leute über mich lachen und meine Manneskraft verspotten. Nein, nein, ich glaube, das wird nichts…leider.“

„Leider“, bekräftigte Maria.

Die beiden sahen die Eselin erwartungsvoll an. Die kaute hektisch vor sich hin und überlegte.

„Na ja“, sagte sie zögerlich. „Also, was deine Männlichkeit angeht, Joseph, der Engel hat deinen Samen benutzt. Nur deshalb hat Gott überhaupt deine Frau ausgesucht, weil du so starken und gesunden Samen hast. Gott hat gewissermaßen nur die Idee geliefert, und dein Samen war die Rutsche, auf der … nein, Moment, das Gefäß, genau, das Gefäß für …“

„Gott?“, fragte Maria zögerlich.

„Genau!“, stimmte der Esel erleichtert zu, „das Gefäß für Gott.“

„Aber ist dann Gott nicht irgendwie jetzt in Maria…?“ Joseph war nicht überzeugt. „Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?“

Maria betastete misstrauisch ihren Bauch und legte den Kopf schief, als horche sie hinein. „Er hat mich getreten“, sagte sie. Die Eselin zuckte mit den Ohren.

„Nein, Gott ist natürlich, wo er immer ist, es war … der heilige Geist, der ist ein Teil von Gott, untrennbar mit ihm verbunden, aber zugleich auch selbständig. Und das ist die Wahrheit!“, bekräftigte die Eselin schnell

„So einen heiligen Geist hat Joseph auch“, kicherte Maria.

Joseph wurde rot. „Ja, das klingt logisch, stimmt schon“, gab er schnell zu. „Und was ist mit Glaubenskriegen und so?“

„Gott ist Liebe“, sagte die Eselin schnell, weil es das erstbeste war, was ihr einfiel. „Er will … er will, dass wir uns alle ein bisschen mehr schätzen. Keinen Krieg.“

„Das würde ich zur Abwechslung auch mal wieder schön finden, wenn ich mal ordentlich geschätzt würde“, sagte Joseph mit einem Seitenblick auf Maria, die nun ebenfalls rot wurde.

„Schätzen“, sagte sie und schluckte vernehmlich. „Klingt gut. Vor allem, wenn es schon eine Weile her ist.“

„Und das ist die Wahrheit!“, schob die Eselin schnell ein.

Joseph und Maria sahen sich halb traurig, halb sehnsuchtsvoll an.

„Ist das auch wirklich die Wahrheit, mit dem Engel?“, fragte Joseph leise.

„Na ja“, sagte Maria. „Ich möchte ja gerne, aber unser Kind, als Messias …“

Da kam der Eselin der Zufall zur Hilfe.

„Heda“, rief jemand hinter ihnen auf dem Pfad. Joseph, Maria und die Eselin sahen sich um. Ein Mann kam den Weg entlang, der sich einen Schal um den Kopf gewickelt hatte. „Seid ihr auch auf dem Weg, dem Stern hinterher?“

„Nein, wir wollen uns schätzen lassen“, sagte Joseph abweisend.

„Ich bin nämlich schwanger“, sagte Maria.

„Von Gott“, sagte die Eselin, deren Nüstern feiner waren als menschliche Nasen, und die deshalb unter dem unverkennbaren Schnapsgeruch, der von dem Fremden ausging, eine Chance witterte

„Ach wirklich?“, sagte der Mann mit dem Schal. „Das trifft sich ja gut! Wir kommen nämlich aus dem Morgenland und folgen der Weisung des heiligen Sterns. Er zeigt uns den Weg zum König der Welt.“

„Wir?“, fragte Joseph.

„Morgenland?“, fragte Maria.

„König der Welt?“, fragte die Eselin listig.

„Ich und meine beiden Gefährten. Die könnt ihr natürlich nicht sehen, denn sie sind weise Magier, die sich gewöhnlichen Sterblichen nicht offenbaren. Wir kommen aus dem fernen Morgenland, und folgen dem Stern schon durch viele wüste Gegenden“, lallte der Fremde. Er hielt sich an der Eselin fest, um nach dieser langen Rede nicht umzufallen.

„Habt ihr Geschenke für den König der Welt dabei?“, fragte die Eselin schnell, bevor Joseph und Maria Mund und Nase wieder zubekamen. „Wer dem König der Welt seine Aufwartungen machen kann, wird bestimmt reich belohnt“, fügte sie hinzu und zwinkerte dem Schalträger zu.

„Na aber sicher!“, schrie der Mann, der drei Könige war. „Weihrauch, Gold und Myrrhe! Sind natürlich –hups- unsichtbar, weil meine Gefährten sie tragen, ist ja klar. Und das ist die Wahrheit!“

„Myrrhe“, fragte Joseph. „Ist das nicht so eine Art Räucherkerze?“

„Das ist ein Baumharz“, erklärte die Eselin. „Man verbrennt es nicht nur, es ist auch ein Aphrodisiakum.“

„Ein was?“, fragte Maria.

„Man schätzt sich dann mehr“, übersetzte die Eselin.

„Verdammt richtig“, sagte der Dreikönig.

„Oh“, sagten Joseph und Maria und sahen sich zum ersten Mal seit Wochen wieder so verliebt an, wie früher. Und dann platzte Maria vor lauter Aufregung die Fruchtblase.

Im nächsten Dorf fanden sie eine Grabnische in den Fels gehauen, die vorübergehend als Stall genutzt wurde. Bis auf einen Ochsen war niemand drin, und den störte die kleine Familie nicht.

„Aua!“, schrie Maria.

„Tut doch was“, sagte Joseph.

„Pressen! Atmen!“, sagte die Eselin, weil es das erste war, was ihr einfiel.

„Ich glaube, mir wird schlecht“, sagte der Dreikönig.

Und dann war das Kind da.

„Das ist aber ein kleines Pimmelchen“, sagte der Dreikönig.

„Ganz der Vater“, sagte Maria und sie und Joseph küssten sich lang und innig.

„In meiner Satteltasche ist noch eine Flasche Palmenwein“, sagte die Eselin böse zu dem Dreikönig.

„Er soll Jesus heißen“, sagte Maria atemlos.

„Ich liebe dich so sehr“, sagte Joseph.

„Jesus! Das ist doch ein Jungenname“ gluckste der König, aber er verstummte, als die Eselin ihm unmissverständlich drohte, ihn zu treten.

Es wurde dann noch ein richtig schöner Abend. Ein paar Hirten kamen von einem nahen Feld vorbei, und Joseph erzählte ihnen stolz, ihr Sohn sei der Messias, und als sie fragten, welcher Sohn, da bot ihnen der König etwas von dem Palmenwein an, und sie sagten, die schwächsten Säuglinge würden die stärksten Männer und aus so manchem dreibeinigen Lämmchen sei noch ein starker Bock geworden, und das sei die Wahrheit, und Joseph und Maria nickten zu allem und schätzten sich ungemein.

„Hast du schon eine Idee, wie das weitergehen soll?“, fragte der Ochse.

„Nein“, seufzte die Eselin, „aber Hauptsache, die beiden haben sich wieder lieb. Der Rest kommt schon von alleine, schätze ich.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagte der Ochse.

Und so erfand die kleine Jesus Christus mit etwas Hilfe von der Eselin Weihnachten. Es ist ein einfaches Fest mit einer einfachen Botschaft. Wir sollten uns alle etwas mehr schätzen, auch und gerade, wenn es schon wieder ein bisschen länger her ist, und selbst dann, wenn es ein paar harmlose Lügen braucht, damit wir erkennen, dass wir uns doch eigentlich lieb haben. Und das ist die Wahrheit.

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