Das Planetenschloss 12

Das Planetenschloss 12

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Lori lag und atmete und genoss die Stille in den Innereien des Löwen. Das Rostblut rieselte, der Atem rasselte in den Lungenbläschen, die im Rauchglas schwebten, die Gelenke aus abgeschabter Flaschenbodendicke knirschten. Das Brüllen der Dreiecke, das Laserfeuer, die beiseite geschlagene Luft des Fliegerkampfes drang nur gedämpft in die Höhle aus glattem Licht und verschwommenem Abend.

                Lori stand auf. Über die Decke dieser kalten Halle glitten die heißlaufenden Schatten. Ein Spiel, dachte das Kind. Ich könnte eingreifen. Mit einem Sprung, mit einem Biss der Bestie, die es aus Blut und Wunsch erschaffen hatte, könnte der Ritter, der wie selbstverständlich Sklaven kaufte, über Schicksale bestimmte und ganze Seelen an seine Mecha verfütterte, vom Himmel geholt, zermahlen, zerkaut und ausgespuckt werden. Aber der Gedanke an die Mecha ließ Lori davor zurückschrecken. Seondeok war freundlich gewesen, hatte sich mit ihr verschworen. Und der Metallvogel, das erste Wesen, das Lori mit der unerklärten, nur erwiesenen Kraft erschaffen hatte, war in die Kampfmaschine geflossen. Um den so hochmütigen Herrn Terramar würden sie sich später kümmern müssen. Zunächst galt es, die grünen Dreiecke, die heulenden, fallenden und emporschießenden Abfangjäger des Schlosses, zurückzuschlagen.

                Lori krabbelte die Glasröhre empor. Schweiß tropfte auf das Glattgewölbe. Füße, Hände, Arme, Schultern spannten sich, Härte erkalteter Glasglut und härter. Keuchend erreichte Lori den Zungengrund, krallte sich in die Kügelchen, die kieselfein die Wölbung überperlten. Oben angelangt, schloss das Kind einmal mehr die Augen, zählte Geißeltierchen im Dunkel, zwang sich zum Aufschauen, Aufstehen und zur Konzentration. Der Löwe war aus Loris Willen und Blut geboren. Wie zuvor der Metallvorgel, würde er gehorchen, wenn die Gedanken die richtige Frequenz fanden und die Kraft, die an einem unbeschreibbaren Ort in ihrem Körper und jenseits dessen pulsierte, übersprang und die nötigen Bahnen fand.

                Lori tastete sich in Gedanken durch die Glasfasern, die Organe und kristallines Nervenzentrum miteinander verknüpften, rief das Bild eines glühenden Netzes, warmer, dehnbarer Bahnen für Impulse von Wille und Muskeln, wach und zwang es mit dem Pulsieren hinter dem Brustbein des Kinderkörpers, das kein Herz war, sondern Gefäß für älteres und tieferes Wissen jenseits von Lori, ins Dasein.

                Der Glaslöwe brüllte. Lori riss den Mund auf. Das Untier sprang auf die Hinterläufe. Die Wüstenwelt kippte. Lori stand, denn der Körper und der Körper aus Fleisch und Blut, der die Menschengedanken und die pulsenden Gedanken von jenseits trug, waren eins und jede Bewegung floss in eins. Glasmuskeln kontrahierten auf eine Art, die eben noch unmöglich gewesen wäre, und Adenylat strömte als Glasperlenspiel an milchige Rezeptoren, wo Scherbenenzyme hineinfuhren und kieselige Phosphate ausspellten. Der Löwe sprang und schnellte in die Luft.

                Eine Pranke wischte ein, zwei Dreiecke beiseite. Der Schwanz schlug links, rechts, und schleuderte ein weiteres über den Sand, wo es flitschte wie ein flacher Stein und beim letzten Aufprall im eigenen Feuer versank. Schritte vor Lori krachte der größte der Abfangjäger in die Zahnreihen. Ein Scherbenschauer umstürmte die Kindergestalt, ein Schneewirbel um die blasse Gestalt, glitzernd, gefährlich, ein Kometenschweif und Trümmerwolke von Jahrmillionenkatastrophen um die Anziehungskraft der Schöpfungsmasse in ihr, hinter ihr, die Kraft, die erweckte, was das Kind wollte. Die Kiefer malmten und mahlten, die Hauer splitterten, die gezackten Trümmerstalagmiten kauten weiter. Der Abfangjäger blinkte rot aus dem Grün, spie Funkenfontänen, die glutregnend, dann immer stumpfer verebbten, und zeigte die vieleckigen, ozonstinkenden Schaltkreise in den Risswunden.

                Der Löwe landete. Alles bebte. Lori, plötzlich allein, ohne das weltallweit entfernte Pulsieren im Innersten, verlor den Halt am Geschöpf ihres Zorns und fiel, schrie, kalt und vereinsamt. Durch die Zahnruinen, vorbei am Jägerkadaver, sah sie, wie Seondeok in einer pulvrigen Wolke landete. Die Mecha schwärte und rauchte. Aus dem Kratzmuster der Kanzel sprang Herr Terramar, rollte sich ab, stand, und rannte auf den Löwen zu.

                „Lori!“

                Was bin ich nur, was kann ich, wie mache ich Löwen und Vögel, habe ich das immer schon, nein, ich kann das neu, in mir ist etwas, es ist erwacht und Seondeok erkennt es und der alte Ritter erkennt es auch, doch sein Gehirn aus Blut und Schwamm will es nicht sehen nicht hören nicht wissen er will mit seinem Kwan alles beherrschen aber was in mir ist lässt sich nicht

                Lori fiel, schlug auf der Glaszunge auf inmitten des gestürzten Glassturms, und stürzte weiter und weiter in tiefes Schwarz, bevor Herr Terramar ins Löwenmaul sprang und den kleinen Körper auffangen konnte, in dem das Kind für die Zeit auf dieser Welt nicht mehr steckte, sondern fern an der Quelle des Pulsierens schwebte.

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